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Stadt-Land-Graben CO2-Gesetz: Wie tief ist der Graben zwischen Stadt und Land?

Das knappe Nein zum CO2-Gesetz scheint den Keil zwischen Stadt und Land tiefer zu treiben. Grosse Schweizer Zeitungen titeln am Tag nach der Abstimmung: «Die Rache der Landschweiz», «Landbevölkerung bodigt CO2-Gesetz», «Klarer Stadt-Land-Graben.»

Landstrasse führt durch Wiesen. Rechte Wiese ist gemäht, am linken Rad steht ein Wald, der Himmel ist wolkenlos und mitten im Bild steht ein Bauernhaus.
Legende: In der Berner Gemeinde Oberdiessbach wurde das CO2-Gesetz mit 68,8 Prozent abgelehnt. SRF/Sabine Gorgé

Auch der Politologe Michael Hermann von der Forschungsstelle Sotomo spricht davon, dass der Stadt-Land-Graben zum dominantesten Graben im Land wird und den Röstigraben ablöst. «Heute stimmt die Westschweiz gleich wie die grossen Städte.»

Stadt Zürich hält an ehrgeizigen Klima-Zielen fest

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Porträt Andreas Hauri
Legende: Keystone

Wäre es nach der Stimmbevölkerung der Stadt Zürich gegangen, wäre das CO2-Gesetz haushoch angenommen worden: 72 Prozent sagten Ja. Deutlicher war die Zustimmung nirgends im Kanton, obwohl auch die Städte Winterthur (64 Prozent) und Uster (59 Prozent) klar dafür waren.

Er bedauere das Scheitern des CO2-Gesetzes, sagt Andreas Hauri (GLP), als Stadtzürcher Stadtrat auch für Umweltthemen zuständig, zu SRF. «Das CO2-Gesetz hätte uns geholfen bei unseren Klima-Zielen.» Denn die Stadt Zürich will bis 2040 klimaneutral werden, also die Treibhausgasemissionen auf Stadtgebiet auf netto null reduzieren. So erklärte es der Zürcher Stadtrat vor einigen Wochen.

Ein ehrgeiziges Ziel, das nun noch ehrgeiziger geworden sei, sagt Hauri. «Das Co2-Gesetz hätte Anreize geschaffen und Geld gebracht für Innovationen oder für das Umsteigen auf erneuerbare Energien.» Da müsse man nach neuen Lösungen suchen.

Der Blick auf die Zahlen bestätigt diesen Eindruck. Von den zehn grössten Schweizer Städten lehnte einzig Lugano die Vorlage ab. In allen anderen Städten lag der Ja-Anteil jeweils über 60 Prozent; besonders deutlich fiel mit 77,5 Prozent die Zustimmung in der Stadt Bern aus. Am Ende fehlten kantonsweit aber trotzdem fast 14'000 Stimmen für ein Berner Ja.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in der ganzen Deutschschweiz. Im Kanton St. Gallen sagten alle ländlichen und Agglomerationsgemeinden Nein, während die grössten vier Städte zustimmten: St. Gallen, Wil, Rapperswil-Jona und Rorschach.

Auch in der Zentralschweiz stimmten nur einige wenige Städte wie Luzern und Zug dem CO2-Gesetz zu. Bemerkenswert: Sowohl im Kanton Schwyz als auch im Kanton Obwalden stimmte jede einzelne Gemeinde gegen die Vorlage.

Besonders tief ist der Graben in der Region Basel

Gross hingegen war die Zustimmung in Basel-Stadt. Kein anderer Kanton hat das CO2-Gesetz so deutlich angenommen - rund 67 Prozent stimmten für die Gesetzesvorlage. Der Landkanton hingegen sagte Nein. Der Ja-Anteil in Baselland beträgt bloss 47 Prozent.

Velofahrerin unterwegs in der Stadt Basel.
Legende: In Basel-Stadt wurde das CO2-Gesetz mit gut 67 Prozent besonders deutlich angenommen. Keystone

Ein Blick auf das Abstimmungsverhalten der einzelnen Gemeinden zeigt jedoch, dass der Graben mitnichten entlang der Kantonsgrenze verläuft. Auch die allermeisten grösseren Agglomerationsgemeinden rund um Basel-Stadt haben das CO2-Gesetz angenommen.

Auch in den Mitteland-Kantonen Aargau und Solothurn zeigt sich der Stadt-Land-Graben beim CO2-Gesetz sehr deutlich. Stimmten in Aarau und Baden über 65 Prozent der Bevölkerung der Vorlage zu, lehnten sie in Kirchleerau und Schmidrued über 78 Prozent ab. Doch nicht nur die grössten Aargauer Städte stimmten für das CO2-Gesetz, auch in kleineren Städten wie Zofingen, Rheinfelden, Brugg, Lenzburg oder Bremgarten kam die Vorlage durch.

Ich glaube nicht, dass der Zusammenhalt gefährdet ist.
Autor: Michael Hermann Politologe

Der Stadt-Land-Graben wird also grösser. Dass er den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden könnte, glaubt Politologe Michael Hermann allerdings nicht. Er erinnert daran, dass in jüngster Zeit auch die Städte verschiedentlich die Landkantone überstimmt hätten - zum Beispiel beim Wolfschutz oder bei der Zweitwohnungsinitiative. «Solange einmal die eine Seite gewinnt und dann wieder die andere, ist die Situation nicht so heikel», sagt Michael Hermann.

Echo der Zeit, 18 Uhr, 14.06.21 ; 

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