Violaine, 29 Jahre alt, hegt bereits seit ihrer Jugend eine Leidenschaft für Sprachen – die Faszination ging so weit, dass sie in Österreich Übersetzung studierte. Die Rückkehr in die Schweiz war dann aber ernüchternd: Schon während der Ausbildung stellte sie fest, dass sich ihr künftiger Beruf unter dem Einfluss von KI verändern wird. Und die ersten Schritte in die Arbeitswelt führten dann auch zur endgültigen Desillusionierung.
«Es war ein sehr stressiges Klima», sagte Violaine gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS). «Die Stellen sind rar, und es gibt viel Konkurrenz, oft mit bereits mehrjähriger Erfahrung. Da ist es schwer mitzuhalten.»
Das Ergebnis: Violaine entscheidet sich für eine berufliche Neuorientierung – sie beginnt ein Logopädie-Studium und hofft, dass sie in dieser Branche nicht einfach so ersetzt werden kann. «Diesen Fehler werde ich kein zweites Mal machen. Wenn ich gewusst hätte, dass der Übersetzungsberuf so bedroht sein wird, hätte ich ihn nie gewählt.»
KI ohne Emotionen
Im Gegensatz zu Violaine behält Maxence, ein Student an der Fakultät für Dolmetschen und Übersetzen (FTI) der Uni Genf, den Glauben an die Zukunft der Branche. Er versucht aber, realistisch zu bleiben und stellt sich darauf ein, dass sein Profil vermutlich angepasst werden muss: «Ich habe mich bereits darauf vorbereitet, dass ich später etwa als Post-Editor oder als Korrektor (Revision) arbeiten werde.»
Neben seinem Studium übersetzt Maxence erotische Romane von Englisch auf Französisch. Diese Arbeit konfrontiert ihn regelmässig mit den Grenzen der KI: Mehrdeutige Wendungen, kulturelle Anspielungen oder sinnliche Ausdrücke können von den gängigen Übersetzung-Tools nicht erfasst werden – oder dürfen es, je nach Nutzungsrichtlinien, auch nicht.
«ChatGPT schläft mit niemandem, KI geht nicht zur Schule, hat kein erstes Mal und musste mit seinen Eltern nicht über Sex sprechen. Technologie kennt diese intimen, menschlichen Erfahrungen nicht, welche die eigene Empfindsamkeit prägen.» Für Maxence sind es diese gelebten Erfahrungen, die es ermöglichen, Emotionen zu vermitteln, und die darum den Menschen unersetzlich machten.
Auf Anfrage von RTS teilt die Dozentin der FTI, Marianne Starlander, diese differenzierte Einschätzung: «Das Ende der Übersetzerinnen und Übersetzer wird seit zwanzig Jahren prophezeit. Trotzdem sind wir noch immer da.» Denn, so Starlander, abseits der Worte bleibt es auch ein Beruf der menschlichen Interaktion.