Die Schweiz blickt zurück auf eine lange Geschichte der diplomatischen Vermittlung in geopolitischen Konflikten. Nun, da sich Krisen und Konflikte auf der Welt häufen, wird deshalb auch ihr Verhalten wieder kritischer beäugt: muss die Schweiz bei Konflikten mehr tun?
Diese Frage wurde im neuen SRG-Angebot «dialog» eine Woche lang debattiert und nicht-repräsentativ von rund zwei Dritteln der Community bejaht. Für Diskussionen sorgte vor allem die Definition des Neutralitätsbegriffs.
Waffenlieferungen sind keine Option.
«Die Schweiz muss dringend ihre neutrale Position beibehalten. Was wir können und auch sollten: einen neutralen und sicheren Tisch anbieten, wo die Konfliktparteien sich treffen können und untereinander nach Kompromissen und Lösungen suchen, um die elende und unnötige, aber gängige Gewalt zu vermeiden. Waffenlieferungen und militärische Unterstützung jedoch darf von der Schweiz keine kommen, unter keinen Umständen!», schreibt beispielsweise der User mit dem Nicknamen Débatteur Rigoureux.
Dem pflichtet die Userin mit dem Nicknamen Oratrice Prudente bei; wie auch der Grossteil der Community. «Die Schweiz sollte nur durch diplomatische Unterstützung behilflich sein. Waffenlieferungen sind keine Option. Wir müssen alles tun, um den Frieden zu verteidigen und das durch die Bereitstellung von einem neutralen Boden.»
User Pierre-Hugues Meyer jedoch hat sich für diese Reaktion der Schweiz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine geschämt – insbesondere wegen der «sakrosankten Verteidigung der Neutralität»: «Neutralität bedeutet, sich nicht militärisch an einem Konflikt zu beteiligen. Das ist alles. Der Verkauf von Waffen an ein Land bricht diese Neutralität nicht. Die Genehmigung der Wiederausfuhr von Waffen an das genannte Land ebenfalls nicht.»
Neutralität ja! Aber nicht auf Kosten von Menschlichkeit.
Mit Blick auf die Eskalation im Nahen Osten hat die «dialog»-Community den Neutralitätsbegriff auch daran gemessen, ob die Schweiz Hamas verbieten soll. Ja, findet der User Doktor Müller: «Neutralität ja! Aber nicht auf Kosten von Menschlichkeit. Terror kann nie gutgeheissen werden, da wäre Neutralität ein falsches Zeichen.» Logographe Romanesque hingegen findet: «Die Schweiz sollte weiterhin ihre guten Dienste anbieten und den Dialog zwischen den beiden Konfliktparteien erleichtern. Sie sollte nicht Stellung beziehen, indem sie die Hamas zur Terrororganisation erklärt, da sie dadurch ihre Glaubwürdigkeit als Vermittlerin verliert.»
Sind solche vermittelnden Bemühungen jedoch realistisch? Der Schweizer Diplomat Thomas Greminger hat im Auftrag des Bundesrats einst mit der radikal-islamischen Hamas verhandelt und gegenüber SRF und RTS das aktuelle Geschehen im Nahen Osten eingeordnet . Die Situation sei heute eine andere: «Es ist viel schwieriger geworden, mit der Hamas zu verhandeln als vor rund 20 Jahren», sagt Greminger. Und mit weitem Blick auf die derzeit vielen Krisenherde – neben dem Nahostkonflikt und dem Ukrainekrieg beispielsweise auch der Konflikt um Bergkarabach und im Sudan: «Es scheint mir, dass es im 21. Jahrhundert wieder eine starke Bereitschaft gibt, Konflikte militärisch zu lösen. Es ist sehr besorgniserregend, dass dies eine Art Trend dieses Jahrhunderts darstellen könnte.»