Zu grosse Augen oder gar keine, zu lange Gliedmassen, zu nackt – Tiere, die wir «hässlich» und uninteressant finden, werden im Allgemeinen weniger erforscht. Daher fehlen Daten zu einer sehr grossen Anzahl von Arten.
Dieses Phänomen reicht laut Valérie Chansigaud weit zurück. Sie ist Historikerin für Wissenschaft und Umwelt sowie assoziierte Forscherin am Sphere-Labor in Paris. «Schon in der Urgeschichte zeigte die Menschheit eine Vorliebe für bestimmte Arten, und das auf Kosten anderer. Das sieht man beispielsweise, wenn man Höhlenmalereien in Europa besucht», sagt die Wissenschaftlerin gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS). «Jedes Mal findet man dort mehr oder weniger die gleichen Tiere dargestellt – Pflanzen sowieso nie.»
Wie die Wissenschaftlerin diese Entwicklung begründet:
Die Vorlieben für bestimmte Tiere variieren im Laufe der Zeit. Chansigaud erklärt das am Beispiel von Raubvögeln: «Selbst Vogelschützer interessierten sich früher nicht für sie. Sie versuchten sogar, sie zu vernichten. Das Interesse an Raubvögeln entwickelte sich erst in den 1920er- und 30er-Jahren.»
Delphine ja, Parasiten nein
Diese Einteilung in interessante und uninteressante Tierarten hat einen starken Einfluss auf die Themensetzung bei wissenschaftlichen Publikationen. Laut Chansigaud gibt es weit mehr Publikationen «zu bestimmten ‹charismatischen› Arten. So zum Beispiel Delphine, grosse Raubtiere, aber auch – in geringerem Masse – Schmetterlinge.» Die Schönheit der Tiere ist nicht das einzige Kriterium. Arten, die als eine Gefahr gelten – wie Schädlinge in der Landwirtschaft oder Krankheitsüberträger – werden ebenfalls besonders untersucht.
Zu den grossen Verlierern der wissenschaftlichen Forschung gehören insbesondere die Parasiten. Und das, obwohl sie allgegenwärtig sind: Jede Tierart hat zwischen zwei und fünf Parasitenarten, die ausschliesslich dank ihr leben. «Wenn eine Vogelart verschwindet, führt das unweigerlich zum Verschwinden einer bestimmten Anzahl von Insekten-, Nematoden- oder anderen Tierarten, die nur durch diese Vogelart leben können.»
Schuld nicht auf Forschende allein abschieben
Als Grund für diese Entwicklung nennt Chansigaud das kulturelle Umfeld der Forschenden. «Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind Teil eines bestimmten kulturellen Universums, dessen Werte sie teilen. Es ist ziemlich logisch, dass die Ausrichtung der Forschung diesen kulturellen Kontext widerspiegelt.» Und sie weist auch auf wirtschaftliche Gründe hin: «Es ist einfacher, Fördermittel für Arten zu beantragen, die von Entscheidungsträgern bereits geschätzt werden.»
Diskutieren Sie mit:
Valérie Chansigaud nennt diese Entwicklung ein «perfektes ökologisches Verbrechen», in Anlehnung an das perfekte Verbrechen, das gar nie entdeckt wird. «Ein nicht unerheblicher Teil der Biodiversität verschwindet, bevor wir ihn überhaupt untersuchen konnten.» Man solle aber nicht mit dem Finger auf die Forschenden zeigen. Der Verlust an Biodiversität habe vielmehr auch mit wirtschaftlichen Interessen zu tun.