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Gesundheitswesen Pflegekräfte berichten: «Am Ende geht es allen schlecht»

Im Gesundheitswesen gehe es zu und her wie am Fliessband, es fehle die Zeit für einfühlende Gespräche, und das alles sei letztlich ein Risiko für die Patientinnen und Patienten: Drei Pflegekräfte, die sich selber am Rand des Burn-outs befinden, berichten aus ihrem Berufsalltag.

Neuste Studien zeichnen vom Pflegeberuf ein düsteres Bild: Mehr als 40 Prozent des Personals verlassen den Beruf vor der Pensionierung, die meisten bleiben nur wenige Jahre im Beruf. Die Branche leidet zudem unter einem Mangel von 15'000 fehlenden Mitarbeitenden.

Eine ehemalige Krankenpflegerin begründet ihren Ausstieg:

Die immer schwierigeren Arbeitsbedingungen haben Camille zum Aufgeben gebracht. Nach drei Jahren Studium und acht Jahren Praxis warf die junge Frau das Handtuch. «Eines Tages wachte ich auf und dachte, dass ich nicht mehr genug Kraft habe, mich um Menschen zu kümmern. [...] Es war sehr belastend. Ich habe viel geweint, weil ich frustriert und enttäuscht war von meinem Beruf», berichtet sie gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS).

Die Belastung hat sie schwer gezeichnet. Sie war ein Jahr lang krankgeschrieben. Heute arbeitet sie als Informatikerin. «Man rennt von links nach rechts; man ist getaktet. Und so geht es den ganzen Tag. Ausserdem müssen wir am Ende des Tages Verwaltungsarbeit erledigen, Notizen für die Versicherungen machen», berichtet sie. «In der Schweizer Gesundheitswelt besteht ein grosser Teil [der Arbeit] darin, mit der Gesundheit der Menschen Geschäfte zu machen.»

Ich litt darunter, dass ich nachts erwachte. Ich hatte Muskelschmerzen, Sodbrennen, Konzentrationsschwierigkeiten.
Autor: Julien Coiffier Notarzt

Auch Julien Coiffier stand kurz vor einem Burn-out. «Ich litt darunter, dass ich nachts erwachte und mein Gehirn dann über viele arbeitsbezogene Dinge nachdachte. Ich hatte Muskelschmerzen, Sodbrennen, Konzentrationsschwierigkeiten. Meine Familie sagte mir, dass ich zwar anwesend war, aber nicht wirklich da», berichtet der ehemalige Chefarzt der Notaufnahme eines Kantonsspitals.

Eine Pflegerin in einem Altersheim bei Zürich.
Legende: In vielen Spitälern und Heimen herrscht ein Arbeitsalltag, der manche Angestellten an den Rand des Burn-outs bringt. Keystone/Christian Beutler

Das Gefühl, nicht mehr richtig pflegen zu können, kann einen kaputtmachen. «Eine moralisch und physisch erschöpfte Pflegekraft stellt ein Risiko für den Patienten dar», betont Coiffier. Er arbeitet jetzt als medizinischer Direktor im Centre Vigimed in Martigny VS.

«Am Ende geht es allen schlecht, die Stimmung ist schlecht, es gibt Stress und Ressentiments, und wir pflegen unsere Patienten nicht mehr gut», erklärt der Notarzt.

Wenn Patienten meckerten, musste ich mich manchmal zurückhalten, um nicht wütend zu werden. Ich stand unter Feuer, weil es mir selbst sehr schlecht ging.
Autor: Virginie* Krankenpflegerin, seit sechs Wochen krankgeschrieben

Virginie*, eine Krankenpflegerin, die seit sechs Wochen krankgeschrieben ist, sagt, sie sei mental am Ende. «Ich sass vor meinem Computer und war unfähig zu arbeiten. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, weinte ich. [...] Es ist wie ein psychologischer Abgrund. Mein Gehirn funktioniert überhaupt nicht mehr», sagt sie anonym gegenüber RTS.

«Ich machte Fliessbandarbeit», berichtet sie weiter. «Ich konnte nicht mehr mitfühlend sein. Wenn Patienten meckerten, musste ich mich manchmal zurückhalten, um nicht wütend zu werden. Ich stand unter Feuer, weil es mir selbst sehr schlecht ging.»

In der Einrichtung, in der sie arbeitet, folgt eine Krankschreibung wegen Erschöpfung auf die andere. Allein in diesem Frühling seien es fast ein Dutzend gewesen. «Ich habe nicht einmal die mentale Kraft, eine andere Ausbildung in Betracht zu ziehen», stellt die Krankenpflegerin fest. «Es macht mir Angst, daran zu denken, dass ich zur Arbeit zurückkehren muss. [...] Ich sehe keine Zukunft. Ich bin 32 Jahre alt und habe noch etwa dreissig Jahre zu arbeiten. Aber ich weiss nicht, was ich tun werde. Das ist beängstigend und deprimierend.»

*Name geändert

RTS, Mise au point, 8.6.25, 20.10 Uhr ; herb

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