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Insomnie «Der Markt für ‹weniger Schlaf› ist einer der profitabelsten»

Über ein Drittel der Menschen in der Schweiz haben Schwierigkeiten beim Einschlafen oder leiden an Schlaflosigkeit. Das macht sich die Wirtschaft zunutze, sagt der Psychosoziologe Philippe Zawieja. Er spricht gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS von einer regelrechten globalen «Wirtschaft des Schlafs».

Philippe Zawieja

Psychosoziologe

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Der Psychosoziologe Philippe Zawieja ist assoziierter Forscher an mehreren Universitäten (unter anderem Montreal und Florenz) sowie Leiter der Forschung bei der Firma Ekilibre Conseil in Paris. Ausserdem leitete er die Erstellung des «Dictionnaire de la fatigue».

RTS: Was ist unter «Wirtschaft des Schlafs» zu verstehen?

Philippe Zawieja: Dabei handelt es sich etwa um Investitionen für eine bessere Schlafqualität. Wir investieren in Bettwaren: Matratzen, Kissen oder Decken. Weltweit handelt es sich um einen Markt mit einem Volumen von bis zu 90 Milliarden Euro. Hinzu kommen auch Lichttherapien, Schlafmittel oder etwa Kräutertees.

Gemäss Zahlen des Bundes leiden über ein Drittel der Bevölkerung unter Einschlafproblemen oder Schlaflosigkeit. Ist das neu?

Das Verhältnis zum Schlaf ist mit der Urbanisierung verknüpft. Etwa durch die Einführung der Strassenbeleuchtung. Insbesondere in Grossstädten herrscht nie Dunkelheit, sie leben 24 Stunden am Tag. Tagsüber gibt es Aktivitätsspitzen, das Nachtleben ist jedoch auch bedeutend und intensiv. Durch diese Veränderung des sozialen Rhythmus sind wir einer permanenten Sinnesreizung ausgesetzt, die sich auf unsere Schlafqualität auswirkt.

Und auch die Nutzung von Smartphones hat unser Schlafproblem verstärkt. Handys halten ständig wach.

Gleichzeitig haben sich die Arbeitszeiten kaum verändert. Sie geben uns einen gewissen Rhythmus vor. Heisst das im Umkehrschluss, dass wir lieber unsere Müdigkeit bekämpfen, als mehr zu schlafen?

Ja, ich denke, es ist der rentabelste Markt der kapitalistischen Wirtschaft. Es geht darum, unsere Spuren und Symptome von Müdigkeit zu bekämpfen. Etwa durch den Konsum von Kaffee, Energydrinks und Nahrungsergänzungsmitteln. Oder durch illegalen Substanzen, Drogen, die ein wichtiger Indikator für den Erschöpfungszustand und den Kampf dagegen sind. Und es gibt Produkte, die die Anzeichen von Müdigkeit kaschieren sollen – etwa Kosmetika.

Interview mit Philippe Zawieja

Schliesslich gibt es noch einen Wirtschaftssektor im Kampf gegen Müdigkeit: der Freizeit- und Entspannungsmarkt, der sowohl der Bekämpfung als auch der Vorbeugung von Müdigkeit dienen soll.

Wenn wir davon sprechen, dass man an Müdigkeit verdienen kann, inwiefern hat Müdigkeit dann Auswirkungen auf die Wirtschaft?

Etwa 1.5 bis 3 Prozent des weltweiten BIP werden durch Müdigkeit zerstört. Das wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus – es erhöht beispielsweise eher das Risiko von Fettleibigkeit.

Müdigkeit wirkt sich auch auf die Produktivität, die Effizienz und die Qualität von Beziehungen aus. Wir wissen etwa, dass müde Mitarbeitende im Gesundheitswesen mehr Fehler machen als jene, die weniger müde sind. Da steht viel auf dem Spiel. Denken wir etwa an Berufe der Luftfahrt, wird klar, dass Müdigkeit ein Sicherheitsrisiko darstellt, das Dutzende oder gar Hunderte Leben betrifft.

Sind wir alle gleich, wenn es um Müdigkeit geht?

Nein. Es gibt Tief- und Leichtschläfer, Nachteulen und Frühaufsteher. Die meisten Menschen haben kein Problem damit, lange zu arbeiten. Doch soziale Momente oder Arbeitspläne bringen den Schlafrhythmus durcheinander.

Was ist also die Lösung?

Steigern Sie die körperliche Aktivität sinnvoll und wahren Sie Rückzugsorte und Entspannungsbereiche. Momente der Ruhe, wie Lesezeit. 30 bis 60 Minuten vor dem Schlafengehen sollte kein Smartphone oder ähnliches mehr konsultiert werden. Und wenn keine Besserung eintritt, ist es ratsam, die Schlafmedizin zu konsultieren.

RTS, 5.5.2025, 12:47 Uhr;weds

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