Sobald das Postauto um die Kurve kommt, beginnen die Kinder zu winken. Am Steuer haben sie Sämi erkannt, ihren Lieblingschauffeur. Er wird sie nach der Mittagspause wieder zur Schule fahren.
Ein Bub im gestreiften Hemd und mit einem Gurt mit Kühen darauf fragt ihn, kaum ist er eingestiegen: «Sämi, singst du uns einen Jodel?» Eine Bitte, die er gleich dreimal wiederholt, da der Chauffeur erst zögert, sie zu erfüllen.
Nachdem er den letzten Touristen hat einsteigen lassen, stimmt Sämi einen Jodel an, und sofort verstummt das Gemurmel im Bus. Während die letzten Töne noch zwischen den Scheiben nachhallen, bricht warmer Applaus aus, begleitet von zustimmenden Pfiffen.
Eine Leidenschaft vom Kindesalter an
Einmal mehr hat Sämi die Herzen seiner Fahrgäste erobert. Heute fährt er die Strecke zwischen Brienz und dem Brünigpass bei Hasliberg im Kanton Bern.
«So bin ich eben. Ich teile gerne meine Leidenschaft für das Singen und das Jodeln», erzählt Sämi Zumbrunn, während er das Freilichtmuseum Ballenberg erreicht. Dort trinkt er während einer kurzen Pause direkt aus dem Brunnenrohr.
«Ich bin in einer Bauernfamilie in Unterbach bei Meiringen aufgewachsen. Schon als Junge sang ich beim Melken der Kühe oder beim Hüten der Rinder auf der Alp Chaltenbrunnen im Rychenbachtal», erinnert sich der heute 62-Jährige.
Bei ihm zu Hause wurde oft und bei jeder Gelegenheit gesungen: beim Geschirrspülen, nach dem Abendessen oder wenn man in den Bergen war. Diese Verbindung zu den Tieren, der Natur und den Alplandschaften hat seine Kindheit und Jugend tief geprägt.
Der Traum von der Elbphilharmonie
Es war ein amerikanischer Tourist aus Chicago, den er in Grindelwald kennengelernt hatte, der ihn dazu anspornte, einen Schritt zu seiner Jodler-Laufbahn zu machen.
«Jeden Monat schrieb er mir einen Brief und fragte, ob ich endlich meine erste CD aufgenommen hätte», erzählt Sämi. «Ich habe sie ‚Singing Driver‘ genannt, da das inzwischen der Spitzname war, den mir die Fahrgäste gegeben hatten. Die CD hatte grossen Erfolg, vor allem bei den japanischen Touristinnen und Touristen.»
Auf diese erste CD folgten zwei weitere. Auf die Frage, welche musikalischen Projekte er noch in der Schublade habe, antwortet er: «In der Elbphilharmonie in Hamburg auftreten.»
«Die schönste Postautofahrt meines Lebens»
Zumbrunn erlernte die Berufe des Zimmermanns und des Bauern und trat im Alter von 19 Jahren dem Jodlerclub Ringgenberg bei. Der Dirigent ermutigte ihn, seine Gesangskünste zu pflegen, und schlug ihm vor, privaten Gesangsunterricht zu nehmen.
Später wurde er Botschafter von Grindelwald, der Jungfraubahnen und von Schweiz Tourismus. Er bereiste die halbe Welt und hatte immer seinen Jodel dabei.
Auch seine Laufbahn als Chauffeur begann in jenen Jahren: Zunächst fuhr er einen Milchtankwagen, dann einen Reisecar. Es ist eine Tätigkeit, die ihn mit den Menschen und dem Tourismussektor in Kontakt bringt – eine tragende Säule der Wirtschaft im Berner Oberland.
«Die Musik spricht eine universelle Sprache, die überall verstanden wird, weil sie vom Herzen kommt», sagt Zumbrunn. «Sie kann Brücken zwischen verschiedenen Kulturen bauen und Freundschaften schmieden, weil sie Harmonie überträgt.»