«Das Vorbild, das ich hatte, war Pornografie. Männer empfanden Lust und waren zufrieden mit dem, was eine Frau tat, wenn sie sich auszog und ihnen das gab, was sie erwarteten, nämlich Sex. Das hat sehr toxische Muster in meinen Beziehungen zu Männern geschaffen. Und tatsächlich habe ich manchmal während des Geschlechtsverkehrs eingewilligt zu regelrecht sexueller Gewalt.»
Esther (Name geändert) ist 18 Jahre alt und erzählt gegenüber dem Radio und Fernsehen der italienischen Schweiz (RSI), welche Auswirkungen der Konsum von Online-Pornografie auf sie gehabt hat: «Ich habe mich wirklich in Gefahr gebracht.»
Eine Psychologin erklärt, was Porno-Konsum bei Kindern bewirkt:
Wie viele andere stiess sie noch vor der Pubertät auf das erste Porno-Video, «mit elf Jahren, auf Youtube, das damals wohl nicht zensiert wurde.» Die junge Schülerin suchte immer weiter nach solchen Videos, sodass sich der Konsum schnell in eine Sucht verwandelte: «Ich brauchte diese Dosis, sonst ging es mir nicht gut. Ich konnte nicht darauf verzichten.»
Erste Pornos mit 12
Esther ist nur ein Beispiel für die Risiken, denen eine ganze Generation ausgesetzt ist. Es ist die erste Generation, die in einem Meer von Online-Pornografie mit unbegrenztem, kostenlosem und allgegenwärtigem Zugang geboren und aufgewachsen ist. In Frankreich besuchen 51 Prozent der Buben und 31 Prozent der Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren mindestens einmal im Monat Porno-Seiten, 40 Prozent mehr als vor fünf Jahren.
«Es ist eine Katastrophe, weil es in einem Alter passiert, in dem sie ihr Gefühls- und Sexualleben entwickeln sollten», erklärt der Psychiater Gerald Mesure vom Institut Imagine nördlich von Paris. «Offensichtlich stört dies ihr Beziehungsmuster völlig, mit einer total falschen Balance zwischen den Geschlechtern.» Das Institut Imagine ist das erste seiner Art in Frankreich, das sich auf Pornografiesucht spezialisiert hat.
Pornografie als Risikoprodukt?
Die Anwältin Laure Boutron-Marmion, Expertin für den Schutz Minderjähriger, zieht eine ernüchternde Bilanz: «Es herrscht eine regelrechte Banalisierung des Sexualakts. Einerseits gibt es Buben, die nicht darauf warten, dass ihnen die Einwilligung gegeben wird. Bei den Mädchen hingegen gibt es einen Anstieg der Gelegenheitsprostitution, immer jüngere Mädchen, die Geld für bestimmte Handlungen verlangen – auch an den Schulen.» Sie dächten: Weil es am Ende alle tun, ist es schon nicht so schlimm. Und mit dem Handy könne innert kürzester Zeit ein ähnliches Video gefunden werden.
Was kann dagegen unternommen werden? Für María Hernández Mora, Psychologin und Autorin der ersten Doktorarbeit in Frankreich über Pornografiesucht, «ist der erste grundlegende Schritt, Pornografie als ein Risikoprodukt anzuerkennen, wie wir es bei Alkohol und Drogen getan haben. Und dann natürlich eine wirksame Alterskontrolle einzuführen, um zu verhindern, dass Kinder vor Erreichen der Volljährigkeit mit pornografischen Inhalten konfrontiert werden.» Davon sei man aber noch weit entfernt.
Esther musste sich selbst helfen. Bei ihr war es eine Liebesbeziehung mit 18, die ihr geholfen hat. Heute arbeitet sie in ihrer Freizeit im Verein «We Are Lovers» und interveniert in Schulen und Gymnasien gegen die Problematik der Pornografie.