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Katholische Kirche Liebe statt Zölibat: Erfahrungsbericht eines ehemaligen Priesters

Nicht viele Priester reden darüber, wie und weshalb sie das Zölibat gebrochen haben. Das Westschweizer Fernsehen RTS hat einen getroffen, der sich entschieden hat, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Jean-Charles Roulin war von 1989 bis 2006 Priester. In dieser Zeit übte der Freiburger sein Amt mit grosser Leidenschaft aus. Doch mehr und mehr empfand er die Einsamkeit des Single-Daseins als zu grosse Last.

«Nicht jeder ist dafür gemacht, im Zölibat zu leben (...) Ich würde nicht sagen, dass ich mich zum Zölibat berufen fühlte, vielmehr fühlte ich mich berufen, Priester zu werden. Das Zölibat ist etwas, das meiner Meinung nach eine Wahl bleiben sollte», sagt Roulin in der Sendung «Mise au point» des Westschweizer Fernsehens RTS.

Vor einigen Jahren wurde sein Leben auf den Kopf gestellt. In der Kirche lernte er Tina kennen, eine gläubige Katholikin und alleinerziehende Mutter, die ursprünglich aus Argentinien kommt.

Für Tina Rospide Roulin waren Priester damals keine gewöhnlichen Männer. Sie standen für sie auf einer Stufe zwischen Gott und den Gläubigen. Nie hätte sie gedacht, sich in einen von ihnen zu verlieben.

Eine Hand zeigt auf ein Tablet, auf dem ein Priester zu sehen ist.
Legende: Jean-Charles Roulin zu der Zeit, als er als Priester amtierte. RTS – Fokus

«Ich habe Jean-Charles nie als Mann in dem Sinne gesehen. Ich sah in ihm den Priester und sprach ihn mit ‚Mein Vater‘ an. Dennoch hatten wir beide jedes Mal das Gefühl, dass da etwas war. Ich aber wollte das nicht sehen», sagt sie. Mittlerweile sind sie seit rund 20 Jahren ein Paar. Jean-Charles musste dafür sein Priesteramt aufgeben.

Predigen trotz Verbot

Trotz ihrer Geschichte blieben die beiden der Kirche treu. Vor ein paar Monaten wurde der ehemalige Priester sogar von einem ehemaligen Kollegen gebeten, in der Karwoche zu predigen. Etwas, das ihm normalerweise verboten ist.

«Ich stand vor einer Gemeinde und versuchte, meinen Glauben und das Evangelium zu vermitteln. Das hat mir sehr gutgetan», gesteht er.

Ich sage es im Präsens: Ich bin Priester, es ist Teil meiner Geschichte, meiner Identität.
Autor: Jean-Charles Roulin

Für seine Frau war diese Rückkehr hinter den Altar sehr emotional. «Ich habe geweint. Als er die Kirche verliess, kamen Leute auf ihn zu und sagten: ‹Es ist unglaublich, was du gesagt hast, du tust uns gut.› Ich fragte mich und Gott, warum er das nicht weiterhin tun kann.»

Ein Mann und eine Frau sitzen im Wohnzimmer.
Legende: Jean-Charles Roulin und seine Frau Tina blieben der Kirche trotz allem treu. RTS / Mise au point

Für ihren Mann und ehemaligen Priester ist klar: Er wird weitermachen. «Einfach anderswo. Allein dieser Gedanke hat es mir ermöglicht, in allem anderen, im Familienleben, einen Sinn zu finden. Schlussendlich bin ich Priester. Und ich sage das absichtlich im Präsenz. Für mich ist es ein Teil meiner Geschichte, meiner Identität. Gleichzeitig habe ich eine Entscheidung getroffen, von der ich wusste, dass sie mich mein Amt kostet. Das wird sich vielleicht eines Tages ändern.»

Ein Verein, der Priestern hilft

Nicht alle Priester finden den Mut, so offen darüber zu reden, viele führen ein Doppelleben. Gabriella Loser Friedli kennt einige Fälle. Sie hat Zöfra gegründet, einen Schweizer Verein für Partnerinnen von Priestern. Viele Jahre lebte sie selbst heimlich mit einem Priester zusammen.

Mit «dialog» einen Blick über die Sprachgrenzen werfen

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Französisch bei RTS und wurde von der «dialog»-Redaktion übersetzt. Die Originalversion können Sie auf  RTS  lesen.

«dialog»  ist das Angebot der SRG, das mit Debatten und dem Austausch von Inhalten Brücken baut zwischen den Sprachregionen in der Schweiz und den Schweizerinnen und Schweizern im Ausland.

Während der letzten fünfzehn Jahre hat ihr Verein mehr als 600 Menschen geholfen. Heute arbeitet Zöfra mit religiösen Institutionen zusammen, um Priestern mögliche Auswege aufzuzeigen.

«Die meisten Priester lieben ihre Arbeit und an ihrer Berufung hat sich nichts geändert. Jedoch ist eine Paarbeziehung dabei nicht vorgesehen.» Und Friedli fügt hinzu: «Wir haben versucht, den Institutionen zu erklären, dass all die Qualitäten, die diese Menschen mitbringen, nicht verloren gehen werden, nur weil sie nebenbei jemanden lieben!»

RTS, Mise au point, 8.9.2024, 20.10 Uhr;kobt

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