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Krieg in der Ukraine Hinter den Kulissen der geheimen Kursk-Operation der Ukraine

Fast zwei Wochen nach Beginn des bewaffneten Überfalls halten ukrainische Streitkräfte noch immer die Stellung in der russischen Region Kursk. Die bis zur letzten Minute geheim gehaltene Operation erweist sich als viel besser vorbereitet, als Beobachter zunächst erwartet hatten.

Kopfzerbrechen im Kreml: Russland wird nach der von Kiew begonnenen Offensive in der Grenzregion Kursk «keine Gespräche» mit der Ukraine führen, sagt Juri Uschakow, diplomatischer Berater von Wladimir Putin, anfangs Woche.

Diese offizielle Erklärung verrät eine Verärgerung in Moskau. Während der Kreml in den vergangenen Tagen wiederholt verkündete, «die Situation unter Kontrolle» zu haben, ist die Realität komplizierter.

Ein Panzer fährt auf einem Feldweg.
Legende: Ukrainische Soldaten an Bord eines Panzers, fotografiert nahe der russischen Grenze in der Region Sumy, 11. August 2024. REUTERS – Viacheslav Ratynskyi

Denn seit dem 6. August mussten hunderttausende russische Zivilisten evakuiert werden, hunderte russische Soldaten wurden gefangen genommen und Kiew beansprucht die Kontrolle über 1200 Quadratkilometer russischen Territoriums. Nach jüngsten Schätzungen westlicher Militärquellen beläuft sich die Zahl ukrainischer Soldaten, die die Grenze überquert haben, auf 6000. Hinzu kommen etwa 4000 Soldaten in der ukrainischen Grenzregion Sumy, die die Offensive unterstützen.

Eine Karte des ukrainisch-russischen Grenzgebiets mit der Stadt Krusk.
Legende: Die Vorstösse (in violett) der ukrainischen Armee in der russischen Region Kursk vom 6. bis 19. August 2024. liveuamap – RTS

Wie ist dieser Erfolg für Kiew zu erklären? Eine aktuelle Untersuchung des «Wall Street Journal» zeigt, dass die ukrainischen Streitkräfte die Offensive akribisch vorbereitet haben.

Einschätzung eines Militärhistorikers zur Kursk-Operation

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«Die schwache Verteidigung des russischen Grenzschutzes wurde schnell überrannt (...) Die Spezialkräfte infiltrierten mehrere Dutzend Kilometer vor den mechanisierten Kräften, um Informationen über das Gelände und den Feind zu erhalten, Verwirrung zu stiften und Hinterhalte zu legen, direkt oder in Verbindung mit der Langstreckenartillerie», bestätigt der Militärhistoriker Michel Goya in einem Blogeintrag .

«Das Ganze wird dann von Drohnen überflogen, die als leichte Aufklärungs- und Unterstützungsflugzeuge fungieren, gefolgt von einigen Mörserbatterien zur Unterstützung aus nächster Nähe», fügt er hinzu.

Für den ehemaligen Oberst der französischen Marinetruppen zeugt diese «Anfangsphase» also von der guten ukrainischen Beherrschung komplexer mobiler Operationen. «Die Ukrainer bleiben den Russen im Manöverkampf offensichtlich überlegen und haben daher ein Interesse daran, diesen zu bevorzugen», schlussfolgert er.

Die Ukraine führte Drohnenangriffe durch, um Infrastrukturen in der Region Kursk ausser Kraft zu setzen, die von Treibstoff- und Munitionslagern bis hin zum Stromnetz reichten. Zwei Wochen vor Beginn der Operation zerstörte die ukrainische Armee ausserdem per Drohne russische Beobachtungssysteme an einem Grenzposten. Dank dieses Einsatzes konnten die Sturmtruppen mit wenig Widerstand auf russisches Territorium vordringen.

Die Reaktion: langsam und ungeschickt

Dennoch ist der Erfolg der Offensive nicht nur auf die ukrainischen Fähigkeiten zurückzuführen. Auch russische Versäumnisse sind dafür verantwortlich.

Denn Russland wusste von der bevorstehenden Offensive. Andrej Guruljow, ein einflussreicher Duma-Abgeordneter und ehemaliger hochrangiger Armeeoffizier, erklärte, dass den Militärbehörden etwa einen Monat vor der Offensive ein Bericht vorgelegt worden sei. Im Dokument hiess es, Kräfte seien entdeckt worden und Geheimdienste warnten vor einem bevorstehenden Angriff. «Aber der Befehl von oben war, nicht in Panik zu geraten», sagte Guruljow.

Soldaten in einem Schüptzengraben.
Legende: Ukrainische Soldaten verstecken sich während Bombenanschlägen nahe der russischen Grenze in der Region Sumy, 13. August 2024. Reuters / Viacheslav Ratynskyi

Die ukrainischen Streitkräfte konnten auch deshalb so schnell vorrücken, weil das Gebiet wahrscheinlich das am leichtesten zugängliche von allen ist. Es verfügt über weniger verbunkerte Stellungen, Panzerabwehrgräben und Minenfelder.

Schliesslich wirkte die russische Reaktion auf die ukrainische Offensive zeitweise chaotisch. Der Militärhistoriker Michel Goya hebt den Einsatz von Iskander-Raketen auf die ukrainischen Aufklärungskräfte hervor, was «der Jagd von Mücken mit dem Hammer» gleichkomme und «von der Hektik» innerhalb des russischen Kommandos zeuge.

Mit «dialog» einen Blick über die Sprachgrenzen werfen

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Französisch bei RTS und wurde von der «dialog»-Redaktion gekürzt und übersetzt. Die Originalversion können Sie auf  RTS  lesen.

«dialog»  ist das Angebot der SRG, das mit Debatten und dem Austausch von Inhalten Brücken baut zwischen den Sprachregionen in der Schweiz und den Schweizerinnen und Schweizern im Ausland.

Dennoch scheint ein langfristiger Erfolg der Ukraine in der Region Kursk weiter schwer vorstellbar. In einem Gespräch  mit «CNN»  halten mehrere westliche Beamte es für äusserst unwahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte das Gebiet halten könnten. Sie räumen jedoch ein, dass es noch zu früh sei, um beurteilen zu können, welche Auswirkungen diese Operation auf den weiteren Ausgang des Krieges haben wird.

Krieg in der Ukraine

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Tagesschau, 19.8.2024, 19:30 Uhr

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