Die heutige Welt sei geprägt davon, dass «Aggression» belohnt werde und «Raubtiere» die bestehenden Regeln zu niedrigen Kosten herausfordern könnten. Das sagt der Essayist und Politologe Giuliano da Empoli gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS). Der Titel seines neusten Buchs lautet denn auch: «Die Stunde der Raubtiere».
Ein Ausschnitt aus dem Interview von RTS mit Giuliano da Empoli:
Auf militärischem Gebiet zerstörten Drohnen «für 500 Dollar Ausrüstung, die Dutzende Millionen kostet», argumentiert der Italo-Schweizer, und es gebe Cyberangriffe, digitale Aggressions- oder Desinformationskampagnen, die «nichts kosten», gegen die es aber «sehr schwierig», wenn nicht «unmöglich» sei, sich zu verteidigen.
Für ihn verkörpern Persönlichkeiten wie Donald Trump diese Aggressionsdynamik, indem sie «die Regeln und Tabus der Reihe nach zerstören» und von einem Tag auf den anderen ihre Position wechseln. «Gestern lancierte er seinen Friedensplan für Gaza, morgen könnte er in die entgegengesetzte Richtung gehen, und es würde ihn politisch nichts kosten», betont da Empoli.
Gemäss dem Schriftsteller befinde sich die Gesellschaft «in einem hypnotisierten Zustand» angesichts dieser Machenschaften und sie habe «grosse Mühe zu verstehen, was vor sich geht». Sie sei «die Beute», «die Laborratte» dieser Raubtierwelt.
Wir sind einem hypnotisierenden Strom schockierender Informationen ausgesetzt, für die wir nicht genug Zeit haben, um sie zu verarbeiten, und die sich ständig erneuern.
Da Empoli führt weiter aus, dass die Menschen nicht genug Zeit hätten, um sich dieses Weltzustands bewusst zu werden. Darum könne der amerikanische Präsident punkten, obwohl seine Handlungen nur kleine Resultate oder sogar gegenteilige Effekte erzielten. Seine Wähler und Wäherlinnen seien «gefangen in seinem System».
Aufruf zum Widerstand
Die Geschwindigkeit ist laut da Empoli eine Stärke der Raubtiere. Sie verleihe ihnen eine mystische Dimension. «Die Menschen haben den Eindruck, dass nichts geschieht, dass alles blockiert ist», argumentiert er. «Und das Raubtier schlägt beinahe eine Art Wunder vor» – indem es sage, es werde «die Regeln, die Gesetze brechen und ein konkretes Resultat in der Realität erzielen. Fast wie Gott.»
Ich denke, wir sollten etwas mehr Mut haben angesichts von Trumps Offensive.
All das wird gemäss dem Schriftsteller begünstigt durch den digitalen Wandel, die die Gesellschaft «von einer Sphäre mit Regeln und Codes (...) zu einem ‹digitalen Somalia›» führt. Das heisst «ein gescheiterter Staat, ohne Regeln, wo die Gesetze von Kriegsherren gemacht werden und wo nichts garantiert ist». Die einzige Regel sei: «das Recht des Stärkeren».
Da Empoli will mit seinem Buch bewirken, dass das Bewusstsein für diese Zusammenhänge geschärft wird und wirksame Antworten gefunden werden. Die liberalen Demokratien und «unsere Lebens- und öffentlichen Entscheidungssysteme sind in Gefahr», so seine Einschätzung. «Ich denke, wir sollten etwas mehr Mut haben angesichts von Trumps Offensive. Wir müssen zu Opfern bereit sein. Aber wir haben die Mittel, um all dem entgegenzutreten.»