In einem Vorort von London erlebt Judith Hamilton einen Albtraum. Ihr 47-jähriger Sohn Alastair hatte ihr gesagt, er fahre in die Ferien nach Paris. Wenige Tage später stellte die Polizei jedoch fest, dass er in die Schweiz geflogen war, um dort mit Unterstützung der Sterbehilfe-Organisation Pegasos zu sterben.
«Er umarmte mich und sagte ‹Ich liebe dich, Mama.› Ich wusste nicht, dass das sein Abschied war», so Judith Hamilton gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS).
Alastair litt unter unerklärlichen Bauchschmerzen, befand sich jedoch nicht in einer terminalen Phase. «Sein Leben war nicht perfekt, aber er führte noch ein Leben, das Tausende glücklich gemacht hätte», so die Mutter.
Als sie Kontoauszüge ihres Sohns sieht, entdeckt sie eine Zahlung von 12'000 Franken an Pegasos. «Es ist wie in einem Geschäft. Wenn man genug Geld hat, erhält man eine Leistung», sagt sie.
Eine Organisation im Zentrum der Kritik
Auch David Canning ist empört. Seine Schwester Anne schied im Januar im Kanton Solothurn durch assistierten Suizid aus dem Leben. «Ich dachte, es werde psychiatrische Untersuchungen geben, Gespräche, und dass das alles Tage dauern werde», berichtete er. «Tatsächlich erledigte sich alles an einem Vormittag.»
Pegasos verteidigt sich
Auf Interviewanfragen von RTS reagierte die Organisation nicht. Auf ihrer Website beruft sie sich auf ein «fundamentales Menschenrecht»: Selbst über Zeitpunkt und Art des Todes zu bestimmen.
Ein Mitarbeiter von Pegasos hat jedoch eingewilligt, einige Fragen zu beantworten. Von Grossbritannien aus organisiert Sean Davidson Reisen in die Schweiz. Gemäss Davidson will Pegasos Personen im Ausland nur dabei helfen, Stress zu minimieren und vom Schweizer Gesetz über Suizidbeihilfe zu profitieren. Das Geld sei nicht die Triebfeder.
«Es ist sehr vereinfacht, sehr effizient, aber es respektiert gewissenhaft das Schweizer Gesetz», betont Davidson. «Wir überprüfen minutiös die medizinischen Dokumente und führen eine sehr gründliche psychiatrische und medizinische Bewertung der Patienten durch.»
Laut Davidson sind alle Klienten überzeugt und entschlossen. Dennoch räumt er ein: «Es wurden Fehler gemacht, aber sie werden nicht wieder passieren.» Dies habe zu einer Änderung der Politik von Pegasos geführt. Neu gelte die Regel: «Wer in die Schweiz kommt, muss seine Familie informiert haben.»
Angehörige fühlen sich übergangen
Diese Argumente überzeugen Megan Royal nicht. Die Mutter der Engländerin ist diesen Sommer nach der Einführung der neuen Pegasos-Richtlinien in die Schweiz gereist, um zu sterben. Sie ist immer noch aufgewühlt über die Kälte, mit der sie gewarnt wurde. «Sie haben mir auf Whatsapp eine Nachricht geschickt», berichtet sie. «Das ist eine Beleidigung. All dies geschah ohne jede Würde.»
In diesem Fall hatte Pegasos die Angehörigen schriftlich konsultiert. Aber ihre Mutter habe sich per E-Mail als Megan ausgegeben. Eine Überprüfung blieb aus.
Pegasos reagierte mit dem Versprechen, künftig die Identität der Angehörigen durch Videoanrufe zu überprüfen. Aber für Megan ist es zu spät. Für sie beginnt eine lange Trauer. Und sie ist nicht die Einzige. In der Schweiz entscheiden sich jedes Jahr zwischen 200 und 300 Menschen mithilfe des Vereins für den Tod.