Marina* gab ihre berufliche Tätigkeit auf, um ihrem Mann zu folgen. Dieser wurde von seinem Unternehmen ins Ausland entsandt, zuerst nach Südafrika und dann nach Dubai. Dort übernahm Marina die Rolle, sich um ihren Sohn zu kümmern.
2023 will der Ehemann sofort und vor Ort die Scheidung. Marina besteht darauf, damit bis zur Rückkehr in die Schweiz zu warten, aber er weigert sich. Eines Tages wird sie – per SMS auf Arabisch – zu einer Online-Verhandlung vor einem örtlichen Gericht vorgeladen.
Die Erlebnisse von Marina * im Beitrag von RTS (dt. Untertitel)
Ihr Auslandsaufenthalt wird zum Albtraum. Gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) berichtet sie: «Ich wusste nicht einmal, dass er das Verfahren in Dubai eingeleitet hatte.»
Die Verhandlung habe online stattgefunden, die Kamera des Richters sei ausgeschaltet geblieben und ihr Mann abwesend gewesen. «Online versteht man nichts, und zack, ist es erledigt.» In anderthalb Monaten wird die Scheidung ausgesprochen.
Lockmittel für Arbeitskräfte
Solche Express-Scheidungen werden von den Vereinigten Arabischen Emiraten als Fortschritt präsentiert. 2022 erliessen sie ein neues Gesetz, das Fragen zu Ehe, Scheidung oder Erbschaft für ausländische Nicht-Muslime regelt, also Ausländer, die nicht dem islamischen Recht, der Scharia, unterworfen sind.
Mit dieser Reform habe man westliche Arbeitskräfte anlocken wollen, sagt Karim el Chazli, Spezialist für das Recht arabischer Länder am Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung in Dorigny VD. In der Logik der Emirate verkörpere eine einfache, schnelle, online abgewickelte Scheidung die Modernität und stärke ihre Attraktivität.
Einflüsse der Scharia
Für Marina führte das neue Gesetz zu diesem Ergebnis: Sie verlor das Sorgerecht. Viele Frauen sind dann im Dilemma: Ohne ihr Kinder das Land zu verlassen, ist undenkbar, aber sie ohne die Zustimmung des Vaters mitzunehmen, kommt einer Entführung gleich.
Das Gesetz von 2022 versprach Gleichberechtigung zwischen den Ehegatten, aber in der Praxis übernimmt manchmal das islamische Recht wieder die Oberhand, beobachtet el Chazli. «Der Text ist nicht erschöpfend. Und bei Lücken wenden die Richter die örtlichen, die Väter begünstigenden Regeln an.»
Hinzu kommt, dass viele Ausländerinnen finanziell und administrativ von ihrem Mann abhängig sind, ihr Visum ist an seins gebunden. Aus Mangel an Mitteln verzichten viele auf separate Verfahren, die nötig sind, um das Sorgerecht für die Kinder, eine Rente oder die Teilung des Vermögens zu erhalten.
Eine Facebook-Gruppe
Die Facebook-Gruppe «Expats nanas: séparées, divorcées», 2016 von Isabelle Tiné gegründet, sammelt zahlreiche Zeugnisse von Frauen, die nach einer belastenden Trennung im Ausland in die Prekarität gefallen sind.
Tiné rät ausländischen Paaren, vor der Abreise einen Vertrag zu unterzeichnen, der das anwendbare Recht im Falle einer Scheidung bestimmt, ebenso das Sorgerecht für die Kinder sowie die Teilung des Vermögens.
Nach ihrer Rückkehr aus Dubai musste Marina mit 49 Jahren wieder bei ihren Eltern im Tessin leben und bei null anfangen. Ihr Sohn hat Dubai verlassen, um in der Schweiz zu studieren. Zusammen wollen sie sich dafür einsetzen, dass das Scheidungsurteil des Emirats von der Schweizer Justiz nicht anerkannt wird.
* Pseudonym