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Wiederaufbau von Blatten Umsiedlung nach einer Katastrophe: Was man von Erto lernen kann

Bei der Frage, ob und wie Blatten im Wallis wieder aufgebaut werden soll, lohnt sich ein Blick nach Italien. Immer wieder wurden dort Ortschaften durch Überschwemmungen, Erdrutsche oder Erdbeben zerstört. So wie in Erto. Den Wiederaufbau des Dorfes an anderer Stelle haben viele noch nicht verwunden.

Am 9. Oktober 1963 stürzten fast 300 Millionen Kubikmeter Gestein in den Vajont-Stausee, etwa 100 km nördlich von Venedig gelegen. Die 250 Meter hohe Welle, die dadurch entstand, stürzte über das Tal hinein und riss alles mit.

«Das Wasser hat zuerst die gesamte linke Seite des Tals verwüstet und alle Häuser zerstört», erklärt Antonio Carrara, Bürgermeister von Erto und Casso, gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.

Insgesamt kamen durch die Flutwelle 2000 Menschen ums Leben, Hunderte Häuser wurden zerstört, Tausende Menschen wurden obdachlos.

Eine erzwungene Umsiedlung

Nach der Tragödie wollten die Behörden das Dorf Erto anderswo wieder aufbauen. «Wir haben mitten auf der Strasse im Nachbardorf einen Gemeinderat abgehalten. Es gab diejenigen, die dafür waren, hier zu bleiben, und diejenigen, die gehen wollten. Um uns zum Gehen zu bewegen, wurde uns ein nagelneues Haus und Arbeit versprochen», erzählt die 86-jährige Angelina Corona.

Wie die Menschen heute über die Umsiedelung denken:

Angelina hat sich geweigert, ihr Haus zu verlassen, bereut aber nichts. «Ganze Familien sind damals verschwunden, ihre Wurzeln wurden zerstört. Viele haben es bereut, einige haben sogar Selbstmord begangen», sagt sie.

Von den 2000 Einwohnern, die 1963 in Erto lebten, sind heute nur noch 300 übrig.

Zwei neue Dörfer gebaut

Zwei neue Dörfer mit überschaubarem Charme wurden gebaut, eines 43 Kilometer vom ursprünglichen Dorf entfernt, und «Nuova Erto» 22 Kilometer entfernt.

Adriano Filippin war 20 Jahre alt, als er einwilligte, Erto zu verlassen. Er hat sich nie davon erholt: «Wenn wir alle oben im Dorf geblieben wären, wäre es besser gewesen, aber leider wurden wir alle getrennt.»

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Für den Bürgermeister des Dorfes war die Umsiedlung ein Fehler. «Man sollte seine Heimat nie aufgeben, denn sonst verliert man die Traditionen, die Bräuche, die Sitten. Man kann sie nicht zurückgewinnen und anderswohin mitnehmen», betont Antonio Carrara.

Das Trauma dieser Zwangsumsiedlung hat das Vorgehen der italienischen Behörden bei anderen Wiederaufbauprojekten nach Katastrophen verändert.

 

Tagesschau, 10.6.2025, 19:30 Uhr; schn

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