Es war ein Einsatz der Luzerner Polizei, der hohe Wellen warf - und auch ein juristisches Nachspiel hatte: Der sogenannte Fall Malters (siehe Box). Er führte zu einem Verfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen Kommandant Adi Achermann und den damaligen Kripo-Chef Daniel Bussmann.
Das Bezirksgericht Kriens und das Luzerner Kantonsgericht haben die beiden Kaderleute der Luzerner Polizei freigesprochen. Jetzt ist das dreijährige Verfahren abgeschlossen - der Freispruch ist rechtskräftig. Erstmals äussert sich nun Adi Achermann zum Fall.
SRF News: Adi Achermann, wie ist es, wenn man als Kommandant der Luzerner Polizei vor Gericht steht wegen des Vorwurfs von fahrlässiger Tötung?
Adi Achermann: Es ist belastend - ich würde lügen, wenn ich etwas anderes sagen würde. Dass ein solcher Fall vor Gericht behandelt wird, ist aber auch belastend für die Polizei an sich. Es führt zu einer Unsicherheit darüber, wie man in Zukunft handeln soll in Situationen, die ähnlich sind wie jene, die zum Prozess geführt hat.
Hatten Sie schlaflose Nächte, in denen Sie sich fragten, ob Sie alles richtig gemacht haben?
Nein. Ich bin schon lange in der Strafverfolgung tätig, darum nahm ich das relativ gelassen. In einer gewissen Phase hat mich die Sache aber schon belastet. Vor allem auch meine Familie. Die Berichterstattung in den Medien und die Vorwürfe, was für Halunken wir bei der Luzerner Polizei seien - das hat meine Eltern, meine Frau, meine gesamte Familie belastet, eindeutig. Mehr als mich.
Wir spürten eine enorme Solidarität der Bevölkerung.
Sie haben die mediale Berichterstattung also als ungerecht wahrgenommen.
Zumindest als voreilig. Wir merkten dann aber, dass in der Bevölkerung eine andere Haltung vorherrschte als in den Medien. Dass sie solidarisch hinter uns stand. Das gab mir Kraft.
Das Verfahren wirkte sich auch auf Ihre Arbeit aus: Sicherheitsdirektor Paul Winiker - Ihr politischer Vorgesetzter - untersagte Ihnen, heikle Einsätze zu leiten. Wie sah denn Ihr Arbeitsalltag in dieser Zeit aus?
Das war keine grosse Einschränkung. Als Polizeikommandant bin ich in einer Managementfunktion und leite kaum selber Einsätze, daher wirkte sich dies im Arbeitsalltag nicht gross aus.
Haben Sie diesen Entscheid von Sicherheitsdirektor Winiker als richtig erachtet?
Er war begründet, damit ich nicht gleich noch einmal in ein solches Ereignis hineinlaufen konnte. Paul Winiker nahm mich damit aus dem Wetter, das war sicher nicht falsch.
Wie schwierig war es für Sie in jener Zeit, vor ihre Mitarbeiter hinzustehen? Verliert man da nicht an Autorität, wenn man ein Gerichtsverfahren am Hals hat?
Im Gegenteil. Ich glaube, das hat uns massiv gestärkt. Wir hielten zusammen, wir spürten diese enorme Solidarität der Bevölkerung, die sich in den Leserbriefspalten und spontanen Begegnungen äusserte. Das hat uns zusammengeschweisst.
Das Verfahren hat sich lange hingezogen: Es dauerte über drei Jahre bis zum rechtsgültigen Urteil. Wie belastend war das?
Es war natürlich mühsam, dass sich die Sache immer länger hinzog. Aber im Grunde kam die grosse Erleichterung nach dem erstinstanzlichen Urteil, das zu unseren Gunsten ausfiel. Wir waren uns danach ziemlich sicher, dass nicht viel passieren konnte. Den Rest mussten wir halt ertragen. Immerhin kann man feststellen: Die Justiz hat sorgfältig gearbeitet, der Rechtsstaat hat funktioniert.
Ich hinterfrage mich täglich, das ist mein Naturell.
Das Urteil des Kantonsgerichts ist nun rechtsgültig. Wäre es nicht gut gewesen, wenn auch noch das Bundesgericht als höchste den Fall beurteilt hätte?
Das kann man so sehen. Aber das Urteil des Kantonsgerichts ist bereits gut begründet, ein Urteil des Bundesgerichts hätte hier keine neuen Erkenntnisse gebracht. Das hat auch die Gegenseite so gesehen - sonst hätte sie das Urteil ja weitergezogen.
Ist es üblich, dass die Polizei in derartige Verfahren verwickelt ist?
Ja, ist es leider. Jährlich werden rund 40 Strafverfahren gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Luzerner Polizei eingeleitet. Sie enden für uns aber alle gut. Wir können damit umgehen.
Wenn Sie zurückblicken auf den Einsatz im März 2016, der zu dem ganzen Verfahren geführt hat - was würden Sie heute anders machen?
Wahrscheinlich würden wir heute gleich vorgehen, wenn wir nur die Faktenlage und den Zeitdruck von damals hätten. Das Gericht kam ja auch zum Schluss, das wir vernünftig und verhältnismässig gehandelt hatten. Wir haben natürlich aber auch dazugelernt. Wir haben unsere internen Prozesse überprüft, unsere Führungsinfrastruktur verbessert, Schulungen durchgeführt.
Wie selbstkritisch sind Sie, nachdem sie einen Einsatz geleitet haben? Wie stark hinterfragen Sie sich?
Ich hinterfrage mich täglich, das ist mein Naturell. Ich versuche auch, täglich besser zu werden. Ich habe mich immer gefragt: Hätten wir damals auch anders handeln können? Klar, hätten wir. Aber wir haben uns im Rahmen des polizeilichen Ermessens eben entschieden, so zu handeln, wie wir dann eben handelten. Diesen Ermessensspielraum brauchen wir.
Wie stellen Sie sicher, dass in einer Situation wie damals in Malters nicht falsch entschieden wird?
Wenn man nach einem System und im Team arbeitet, kann man die Qualität eines Einsatzes steigern. Der Chef der Verhandlungsgruppe, der Psychologe, alle wirkten damals mit. Trotzdem musste am Schluss dann jemand entscheiden.
Die Bilder des Einsatzes vor drei Jahren - haben Sie die mittlerweile abgestreift, oder gehen sie Ihnen noch immer regelmässig durch den Kopf?
Ich konnte relativ schnell loslassen. Das Ereignis damals war natürlich ausserordentlich, aber mein Job bringt täglich neue Herausforderungen mit sich - ich kann mich da nicht lange mit einzelnen Sachen aufhalten, auch wenn sie mir noch so unter die Haut gehen.
Das Gespräch führte Sämi Studer.