«Mein Unterbewusstsein checkt vor jedem Spiel, ob ich die Schiedsrichterkabine abschliessen kann.» Manuel Pfister gilt als Schiedsrichter-Talent. Der 25-Jährige spricht fast ausschliesslich positiv über sein Hobby. Doch er kennt die Schattenseiten und das Gewaltpotential auf den Fussballplätzen. «Ich bekomme die unschönen Geschichten natürlich mit, wenn ein anderer Unparteiischer verprügelt wird oder sich in der Kabine einschliessen muss.»
Er habe eine dicke Haut. Einen dummen Spruch gäbe es in jedem Spiel. Schlimmer sind für ihn die Zuschauer, denn gegen diese kann er als Schiedsrichter kaum etwas ausrichten. «Spieler kann ich nach Beleidigungen sanktionieren – bei Eltern oder Freunden am Spielfeldrand müssen die Aussagen einfach in ein Ohr rein und aus dem anderen raus.»
Oft dominiert weniger der Tiki-Taka-Fussball, sondern mehr schottisch halbhohe Grätschen und grobe Fouls die Partien in den tieferen Ligen. Unter den Spielern kommt es teils zu handfesten Auseinandersetzungen. Jüngstes Beispiel: In Zürich wird eine 4.-Liga-Partie abgebrochen, nachdem es zwischen dem FC Schlieren II und dem SVA Megas Alexandros zu einer Massenschlägerei gekommen war.
Der Verband spricht von Einzelfällen – die Zahlen und Berichte von Spielern zeigen: Es sind viele Einzelfälle. In jeder regulären Saison gibt es laut Schweizer Fussballverband über 1000 Tätlichkeiten. Geschichten von Beleidigungen oder Gewalt kennt jeder Spieler.
Von Respektlosigkeit spricht Nils Weber. Der junge Unparteiische hat deshalb seine Pfeife definitiv an den Nagel gehängt. «Schon bei den Junioren werden Entscheidungen nicht akzeptiert und dauernd gemeckert.» Doch nicht nur das: «Bei einem Spiel wurde ich bereits vor der Pause von verschiedenen Eltern der Spieler bedrängt – ich wollte gar nicht mehr aus der Kabine.»
Nach dem Spiel sei ihm dann klargemacht worden, dass er sofort verschwinden soll, «ansonsten passiere etwas». Noch in Schiedsrichterkleidung steigt Nils ins Auto und flieht. Es ist der Schlusspfiff seiner Schiedsrichter-Karriere.
Champions League im Herzen
Beim Fussball geht es nicht um Leben und Tod – die Sache ist viel ernster. Dies gilt sowohl bei den Profis als auch bei den Amateuren. Der 27-jährige Fussballer Kenan erklärt es so: «Wenn du ein Jahr lang alles gibst, um ein Ziel zu erreichen und im letzten Spiel aufsteigen könntest, dann ist diese Partie für dich so wichtig wie ein Champions League Spiel – auch wenn es nur eine Viertliga-Partie ist.»
Im oben genannten Aufstiegsspiel von Kenan kommt es zu wüsten Szenen nach dem Schlusspfiff. «Eltern, Spieler und Funktionäre bedrängen den Unparteiischen und schreien ihn an – nur mit Hilfe kann sich der Schiedsrichter in die Kabine retten.»
Was Kenan und auch beide Schiedsrichter erwähnen: Vielfach seien die Eltern, Zuschauer und Trainer diejenigen, welche die Atmosphäre zusätzlich aufheizen. Dass diese nur einen halben Bierwurf von der Seitenlinie entfernt stehen, führt in emotional geführten Partien kaum zur Entspannung bei.
Emotionen gehören zum Fussball, es müssen aber klar Grenzen gesetzt werden, findet auch Schiedsrichter Manuel Pfister. Ihm ist die Freude und Faszination am Pfeifen jedoch noch lange nicht vergangen, «ich fühle mich wie auf einer Bühne – bin konzentriert, fokussiert und es ist Action».