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Alkohol am Open Air Saufen oder chillen? Open-Air-Fans können auch heute noch beides

Junge Menschen trinken bewusster, aber Rauschtrinken ist dennoch unter ganz Jungen verbreitet. Für die Veranstalter bleibt Alkohol demnach ein Riesengeschäft.

Schon am Eingang zum Open Air St. Gallen geben sich viele keine Blösse. Daran, dass Alkohol ein fester Bestandteil dieser vier Kulturtage ist, lassen sie angesichts der mitgeführten Bierreserven keinen Zweifel. Andererseits gibt es neuerdings aus der Sozialwissenschaft erfreuliche Befunde, wonach die junge Generation massvoller mit Drogen umgehe als ihre Vorgänger, im Speziellen mit der Volksdroge Nummer eins, dem Alkohol. Wie das zusammenpasst, wollte das SRF-Reportageformat «rec.» wissen und mischte sich in St. Gallen unters Partyvolk.

Frauen bei einem Festival zwischen Zelten auf schlammigem Boden, stemmen einen Bierkasten.
Legende: Rauschtrinken ist in der Generation der 15- bis 24-Jährigen verbreitet. Heute wird zwar insgesamt weniger Alkohol getrunken, dafür aber öfter mit der klaren Absicht, «abzustürzen». Keystone / Gian Ehrenzeller

«Ihr seid um elf Uhr morgens schon am Trinken?», fragt der Reporter ein paar Junge, die eben auf dem Festivalgelände eintreffen. «Nein, wir trinken schon seit acht Uhr», antwortet der Angesprochene, «ja, um acht haben wir mit Bier begonnen.» Die Gründe für diese stramme Rauschkultur sind so einfach wie eingängig: «Weil man das so macht», erklärt der junge Mann, «so ist es sinnvoll.»

Der Durst der einen ist die Sättigung der anderen

Je wärmer das Wetter ausfällt, desto mehr wird getrunken, sagt das Festivalkomitee. Und bei fast 100'000 Festivalgästen sind das keine Peanuts. Rund 22 Prozent des Ertrags des Open Air St. Gallen kommen vom Verkauf von Essen und Trinken. Vor allem die Marge auf Getränke schenkt dabei ein.

Zwischen Bierständen, feiernden Festivalfans und den torkelnden Verlierern von Trinkspielen trifft der Reporter auch Mitarbeitende der Suchthilfe St. Gallen an ihrem Stand.

Regine Rust

Geschäftsleiterin Suchthilfe St. Gallen

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Regine Rust ist Geschäftsleiterin der. Sie engagiert sich mit grossem Einsatz für suchtbetroffene Menschen und setzt sich insbesondere für deren Versorgung und soziale Integration ein Stiftung Suchthilfe St. Gallen

Das Team um Regine Rust bietet unter anderem Alkoholtests an, und das schon seit 25 Jahren. Für die Suchtexpertin ist klar: Das Trinkverhalten hat sich im Verlauf dieses Vierteljahrhunderts gewandelt. Der Wunsch nach einem Rausch sei bei einigen Menschen gar nicht mehr so gross, hält Rust fest. Und es gebe auch Menschen, die lange Zeit gar nichts tränken, die sich ganz bewusst so abstinent verhalten würden. «Dann aber kommt es oft explosionsartig», erzählt Rust aus ihrem Alltag als Suchtexpertin, «und dann sagen die, jetzt will ich richtig Gas geben.»

Diese Beobachtung spiegelt sich auch in der offiziellen Gesundheitsbefragung des Bundes. Das Rauschtrinken sei typisch für die Generation der 15- bis 24-Jährigen, sagt Rust. Sei es wegen der Belastung zu Hause, wegen Prüfungsdrucks oder sonst etwas, das sie beschäftigt.

Alkohol ja, aber anders

Auch wenn hier am Open Air der Alkohol nach wie vor dazugehört, fast wie die Musik, und trotz ungebrochen beliebter Trinkspiele: Die jüngere Generation gehe insgesamt bewusster mit dem Thema Alkohol um, was auch mit dem Gesundheitstrend zu tun habe, sagt die Expertin. Dies sei zwar eine positive Entwicklung, die wohl auch der Präventionsarbeit vor Ort zu verdanken sei, so Rust, «aber trotzdem, als Gesellschaft trinken wir noch immer zu viel und zu oft. In der Schweiz gilt jede fünfte Person als Alkoholikerin. Die Suchtgefahr ist also real.»

Rauschtrinken

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Die Begriffe Rauschtrinken, akute Intoxikation oder «binge drinking» stehen laut der Vereinigung Praxis-Suchtmedizin für den Konsum einer grossen Menge Alkohol in einem kurzen Zeitraum (episodisch exzessiver Konsum, Saufen bis zum Umfallen, Komatrinken, Kampftrinken).

Konsummengen beim Rauschtrinken

Männer: 5 oder mehr Standardgetränke pro Gelegenheit

Frauen: 4 oder mehr Standardgetränke pro Gelegenheit

Folgen

Es kommt zu Bewusstseinsstörungen sowie zu Störungen der kognitiven Funktionen, der Wahrnehmung, des Affektes, des Verhaltens und weiterer physiologischer Funktionen.

In der Schweiz trinken über eine halbe Million Personen bei wiederkehrenden Gelegenheiten (episodisch) zu viel Alkohol, ein Teil davon tut dies chronisch.

Rauschtrinken tritt nach epidemiologischen Studien unter Männern etwa doppelt so häufig auf (28.4 Prozent) wie bei Frauen (12.9 Prozent) (Kraus et al., 2011). Rauschtrinken ist mit einer Vielzahl von gesundheitlichen und sozialen Negativfolgen verknüpft, darunter Vergiftungssymptome, Konzentrationsstörungen, Aggressionen und Gewaltakte, Risikoverhalten (ungeschützter Geschlechtsverkehr, Konsum weiterer psychoaktiver Substanzen, Strassenverkehr) oder suizidale Handlungen. Beim Rauschtrinken ist zudem die Morbidität und Mortalität erhöht (zum Beispiel durch Verkehrsunfälle oder akute kardiovaskuläre Erkrankungen).

Dabei geht es durchaus anders, wie andere Besucher am Festival beweisen. Er gehe auch ohne Alkohol zuvorderst an die Bühne und tanze, erzählt ein junger Festivalbesucher. «Und nicht, weil ich einfach mit anderen mitmachen will, sondern weil ich es selber toll finde.»

Mit dieser Haltung ist er in St. Gallen eher in einer Minderheit, wie das Reportageteam von «rec.» in Erfahrung brachte. Obwohl es immer mehr komplett nüchterne Leute an Festivals gibt, bleibt der Alkohol für viele im Sittertobel das Öl im Rock-'n'-Roll-Getriebe.

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SRF rec., 14.7.2025, 17:50 Uhr ; 

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