Zum Inhalt springen

Header

Video
Vererben im Internetzeitalter
Aus Tagesschau vom 11.08.2022.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 9 Sekunden.
Inhalt

Digitaler Nachlass Was passiert mit meinem digitalen Ich nach dem Tod?

Social Media, E-Mails, Cloud: Täglich nutzen wir digitale Dienste – täglich hinterlassen wir digitale Fussspuren. Über die Jahre bauen wir so ein komplexes Datenkonstrukt auf. Und wenn wir sterben, erlöscht dieses nicht einfach. Es bleibt eine digitale Hinterlassenschaft, deren Erfassung anspruchsvoll ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten mit Expertin Cordula Lötscher.

Cordula Lötscher

Cordula Lötscher

Assistenzprofessorin für Privatrecht, Universität Luzern

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Cordula Lötscher ist Advokatin und Assistenzprofessorin für Zivil- und Zivilprozessrecht an der Universität Luzern. Im März 2021 erschien Ihr Buch «Der digitale Nachlass». Sie ist ausserdem Mitglied der Begleitgruppe zur aktuellen Studie der TA-Swiss zum digitalen Nachlass.

SRF News: Was geschieht mit meinem digitalen Ich, wenn ich sterbe?

Cordula Lötscher: Ganz grundsätzlich passiert gar nichts. Die digitalen Spuren bleiben genauso weiter bestehen wie vorher. Gewisse Provider löschen Konten oder versetzen sie in einen Gedenkzustand. Klar ist aber, wir hinterlassen zahllose Spuren. Die genaue Menge ist unvorstellbar. Die allermeisten sind vermutlich Spuren, die wir nicht kontrollieren können und auch nicht zu unserem digitalen Erbe gehören.

Welche digitalen Spuren vererben wir dann?

Wir vererben nur digitale Spuren, bei denen wir zu Lebzeiten einen rechtlichen Anspruch darauf haben. Ein E-Mail-Account oder Social Media Account ist verbunden mit dem Abschluss eines Vertrages. Die Rechte und Pflichten aus diesen Verträgen übertragen sich im Todesfall auf unsere Erben. Weiter gehören aber auch geistige digitale Schöpfungen, Domainnamen und digitale Vermögenswerte, wie etwa Kryptowährungen zum digitalen Erbe. Aber auch alle Daten, die auf eigenen lokalen Speichern, wie Festplatten und Smartphones, gespeichert sind, gehören zu unserem digitalen Nachlass.

Wer hat nach meinem Tod Ansprüche auf mein digitales Erbe?

Box aufklappen Box zuklappen

Die Erbinnen und Erben. Das müssen nicht in jedem Fall die nächsten Angehörigen sein. In der Schweiz haben wir beispielsweise kein gesetzliches Erbrecht für Lebenspartnerin und Lebenspartner, wenn keine Ehe geschlossen wurde. Gesetzliche Erben sind dann in erster Linie die Kinder und Ehegatten, in zweiter Linie Eltern und allenfalls Geschwister

Wieso ist es so wichtig, sich um seinen digitalen Nachlass zu kümmern?

Es geht um die Frage, ob Sie Kontrolle wollen oder nicht. Wenn Sie nichts regeln, besteht die Gefahr, dass Vermögenswerte verloren gehen oder die Erben nicht wissen, was sie tun sollen und vielleicht Streit bekommen. Oder Dinge werden gelesen oder eben nicht gelesen, bei denen Sie das vielleicht lieber anders gehabt hätten.

Es geht um die Frage, ob Sie Kontrolle wollen oder nicht.
Autor: Cordula Lötscher Expertin

Besteht das Risiko eines Missbrauchs mit meinen Daten, wenn ich meinen digitalen Nachlass nicht regle?

Das Risiko besteht grundsätzlich immer. Man hat wohl auch zu Lebzeiten faktisch nicht alles unter Kontrolle, was mit den eigenen Daten geschieht. Aber natürlich, jetzt kann man sich noch darum kümmern. Später ist das Problem bei den Erben, die sich allenfalls nicht mehr darum kümmern können oder mögen.

Wie kann ich mich um meinen digitalen Nachlass kümmern?

Grundsätzlich sollte man sich einen Überblick verschaffen und sich dann die Frage stellen, was man möchte. Soll mein Facebook-Profil weiter existieren oder nicht? Danach sind die Zugangsdaten essenziell. Für die Erben kann es sehr mühsam und aufwändig sein, bei all den Anbietern dem Nachlass nachzugehen. Darum ist es wesentlich, eine Liste mit allen existierenden Benutzerkonten und den dazugehörigen Zugangsdaten zu erstellen.

So regle ich meinen digitalen Nachlass

Box aufklappen Box zuklappen

Die Zugangsdaten sind der Schlüssel zum digitalen Nachlass. Am wichtigsten sind die Zugänge zur Hardware (Computer, Smartphone) und zum E-Mail-Konto. Am besten erstellt man eine Liste mit den Zugangsdaten. Es kann sogar empfehlenswert sein, eine analoge Liste zu erstellen und diese an einem Ort aufzubewahren, wenn man die Frage der Datensicherheit mitberücksichtigt. Es gibt aber auch immer mehr Onlinelösungen, die das Passwortmanagement übernehmen und die Sache praktischer machen.

Weiter kann man immer öfters auch direkt bei Anbietern den Nachlass regeln:

  • Google-Konto: Google verfügt über einen Inaktivitätsmanager. Hier können User:innen festlegen, ab wann ein Konto als inaktiv gilt und was danach mit den Daten geschehen soll. Beispielsweise, ob das Konto automatisch gelöscht werden soll, oder ob und für welche Drittpersonen die Daten freigegeben werden sollen. Wenn sich Erblasser darum nicht zu Lebzeiten gekümmert haben, dann müssen die Erben ein Anfrageformular ausfüllen. Nachdem Google die Anfrage genehmigt hat, löscht das Unternehmen das Konto oder überträgt es auf die Angehörigen.
  • Apple: Bei Apple kann man einen Nachlasskontakt für die Apple-ID direkt über das eigene Applegerät hinzufügen. Die definierten Personen können nach dem Tod auf die in einem Apple-Account gespeicherten Daten zugreifen. Hat sich die verstorbene Person nicht um den Nachlasskontakt gekümmert, so können Angehörige Zugriff auf den Apple-Account anfordern. Hierzu gehört in der Regel auch die Einreichung von rechtlichen Dokumenten.
  • WhatsApp: Bei Whatsapp werden Accounts nach 120 Tagen der Inaktivität gelöscht. Sofern die Angehörigen einen Zugang zum Handy des Verstorbenen haben, kann der Account aber schon früher gelöscht werden.
  • Facebook: Auch bei Facebook kann man einen Nachlasskontakt definieren. Nach dem Tod kann der Nachlasskontakt bestimmen, was mit dem Account passiert und je nachdem erhält dieser auch Zugang zu den Daten.

Ist die Gesetzgebung ausreichend, um die digitalen Daten über den Tod hinaus zu schützen?

Grundsätzlich ist das Erbrecht sehr umfassend ausgestaltet. Was wir nicht haben, ist ein datenschutzrechtlicher Anspruch, der vererbbar wäre. Ein Beispiel: Aus dem Datenschutzrecht hat man einen Löschungsanspruch gegenüber allen, die Daten sammeln. Wenn ein Unternehmen über mich zu Lebzeiten ohne Rechtfertigungsgrund Daten gesammelt hat, dann können meine Erben keinen Löschungsanspruch mehr geltend machen – zu Lebzeiten hätte ich das noch gekonnt. Ob es hier einmal eine Lösung geben wird, scheint mir noch offen. Weiter ist die rechtliche Lage betreffend Kryptowährungen nicht restlos geklärt. Hier haben wir eine grosse Rechtsunsicherheit.

Heutzutage bezahlen wir mit unseren Daten, wenn wir Dienstleistungen nutzen, die «nichts» kosten. Das ist ein hoher Preis.
Autor: Cordula Lötscher Expertin

Ist es möglich sein gesamtes digitales Ich zu löschen?

Nein. In der Theorie ist das vielleicht denkbar, aber in der Praxis unmöglich. Wenn ich meine iCloud lösche, besteht mein Kontakt auf der iCloud meiner Freunde weiter. Selbst wenn etwas gelöscht wird, existiert normalerweise irgendwo noch ein Backup. Dazu kommt, dass wir fast täglich Nutzungsbestimmungen zustimmen, die die Nutzung der Daten durch Dritte erlauben. Heutzutage bezahlen wir mit unseren Daten, wenn wir Dienstleistungen nutzen, die «nichts» kosten. Das ist ein hoher Preis.

Das Gespräch führte Deborah Schlatter.

Tagesschau, 08.08.22, 19:30 Uhr;

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel