Social Media, E-Mails, Cloud: Täglich nutzen wir digitale Dienste – täglich hinterlassen wir digitale Fussspuren. Über die Jahre bauen wir so ein komplexes Datenkonstrukt auf. Und wenn wir sterben, erlöscht dieses nicht einfach. Es bleibt eine digitale Hinterlassenschaft, deren Erfassung anspruchsvoll ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten mit Expertin Cordula Lötscher.
SRF News: Was geschieht mit meinem digitalen Ich, wenn ich sterbe?
Cordula Lötscher: Ganz grundsätzlich passiert gar nichts. Die digitalen Spuren bleiben genauso weiter bestehen wie vorher. Gewisse Provider löschen Konten oder versetzen sie in einen Gedenkzustand. Klar ist aber, wir hinterlassen zahllose Spuren. Die genaue Menge ist unvorstellbar. Die allermeisten sind vermutlich Spuren, die wir nicht kontrollieren können und auch nicht zu unserem digitalen Erbe gehören.
Welche digitalen Spuren vererben wir dann?
Wir vererben nur digitale Spuren, bei denen wir zu Lebzeiten einen rechtlichen Anspruch darauf haben. Ein E-Mail-Account oder Social Media Account ist verbunden mit dem Abschluss eines Vertrages. Die Rechte und Pflichten aus diesen Verträgen übertragen sich im Todesfall auf unsere Erben. Weiter gehören aber auch geistige digitale Schöpfungen, Domainnamen und digitale Vermögenswerte, wie etwa Kryptowährungen zum digitalen Erbe. Aber auch alle Daten, die auf eigenen lokalen Speichern, wie Festplatten und Smartphones, gespeichert sind, gehören zu unserem digitalen Nachlass.
Wieso ist es so wichtig, sich um seinen digitalen Nachlass zu kümmern?
Es geht um die Frage, ob Sie Kontrolle wollen oder nicht. Wenn Sie nichts regeln, besteht die Gefahr, dass Vermögenswerte verloren gehen oder die Erben nicht wissen, was sie tun sollen und vielleicht Streit bekommen. Oder Dinge werden gelesen oder eben nicht gelesen, bei denen Sie das vielleicht lieber anders gehabt hätten.
Es geht um die Frage, ob Sie Kontrolle wollen oder nicht.
Besteht das Risiko eines Missbrauchs mit meinen Daten, wenn ich meinen digitalen Nachlass nicht regle?
Das Risiko besteht grundsätzlich immer. Man hat wohl auch zu Lebzeiten faktisch nicht alles unter Kontrolle, was mit den eigenen Daten geschieht. Aber natürlich, jetzt kann man sich noch darum kümmern. Später ist das Problem bei den Erben, die sich allenfalls nicht mehr darum kümmern können oder mögen.
Wie kann ich mich um meinen digitalen Nachlass kümmern?
Grundsätzlich sollte man sich einen Überblick verschaffen und sich dann die Frage stellen, was man möchte. Soll mein Facebook-Profil weiter existieren oder nicht? Danach sind die Zugangsdaten essenziell. Für die Erben kann es sehr mühsam und aufwändig sein, bei all den Anbietern dem Nachlass nachzugehen. Darum ist es wesentlich, eine Liste mit allen existierenden Benutzerkonten und den dazugehörigen Zugangsdaten zu erstellen.
Ist die Gesetzgebung ausreichend , um die digitalen Daten über den Tod hinaus zu schützen?
Grundsätzlich ist das Erbrecht sehr umfassend ausgestaltet. Was wir nicht haben, ist ein datenschutzrechtlicher Anspruch, der vererbbar wäre. Ein Beispiel: Aus dem Datenschutzrecht hat man einen Löschungsanspruch gegenüber allen, die Daten sammeln. Wenn ein Unternehmen über mich zu Lebzeiten ohne Rechtfertigungsgrund Daten gesammelt hat, dann können meine Erben keinen Löschungsanspruch mehr geltend machen – zu Lebzeiten hätte ich das noch gekonnt. Ob es hier einmal eine Lösung geben wird, scheint mir noch offen. Weiter ist die rechtliche Lage betreffend Kryptowährungen nicht restlos geklärt. Hier haben wir eine grosse Rechtsunsicherheit.
Heutzutage bezahlen wir mit unseren Daten, wenn wir Dienstleistungen nutzen, die «nichts» kosten. Das ist ein hoher Preis.
Ist es möglich sein gesamtes digitales Ich zu löschen?
Nein. In der Theorie ist das vielleicht denkbar, aber in der Praxis unmöglich. Wenn ich meine iCloud lösche, besteht mein Kontakt auf der iCloud meiner Freunde weiter. Selbst wenn etwas gelöscht wird, existiert normalerweise irgendwo noch ein Backup. Dazu kommt, dass wir fast täglich Nutzungsbestimmungen zustimmen, die die Nutzung der Daten durch Dritte erlauben. Heutzutage bezahlen wir mit unseren Daten, wenn wir Dienstleistungen nutzen, die «nichts» kosten. Das ist ein hoher Preis.
Das Gespräch führte Deborah Schlatter.