Es begann als «Music Television» – nun verabschiedet sich MTV weitgehend vom Musikfernsehen. Ab Jahreswechsel stellt der Sender in Europa schrittweise seine reinen Musikspartenkanäle ein, darunter MTV 90s, Club MTV und MTV Live. Diese Sender zeigen fast ausschliesslich Musikvideos und Konzertmitschnitte.
Der Hauptsender MTV bleibt auf Sendung, hat sich jedoch in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark in Richtung Reality- und Unterhaltungssendungen entwickelt. Musikstrecken laufen nur noch vereinzelt. In einzelnen Märkten ausserhalb Europas – etwa in den USA – bestehen bestimmte Musikangebote vorerst weiter.
Der Entscheid steht im Zusammenhang mit dem veränderten Nutzungsverhalten und dem Kostendruck im klassischen Fernsehen. Musikvideos werden heute vor allem online konsumiert, während reichweitenstarke Reality-Formate das Publikum heute länger vor dem TV halten und höhere Werbeeinnahmen generieren.
Das Lagerfeuer der TV-Generation
MTV prägte in den 1980er- und 1990er-Jahren das Musikfernsehen und die Popkultur. Formate wie «Yo! MTV Raps», «MTV Unplugged» oder die MTV Video Music Awards machten Künstlerinnen und Künstler weltweit sichtbar. Musikvideos existierten bereits vor 1981 – ihren Durchbruch verdanken sie jedoch MTV, da der Sender sie erstmals kontinuierlich und international sichtbar machte.
Es gab noch kein Youtube und kein Streaming – wer MTV schaute, war Teil eines gemeinsamen Fernsehmoments. Songs, Mode, Tanzstile und Stars verbreiteten sich dadurch gleichzeitig in vielen Ländern und prägten ein gemeinsames Lebensgefühl einer Generation.
Von der MTV-Ära zum Tiktok-Takt
Nicht nur das Publikum hat sich verändert, sondern auch das Produkt Musikvideo. In den 1980er- und 1990er-Jahren diente es als zentrales Mittel der Album-Promotion. Sie waren nicht selten aufwändig und mit Millionenbudgets produziert – wie etwa das Video zu «Scream» von Michael & Janet Jackson. Mit Produktionskosten von rund 7 Millionen Franken war es ab 1995 während 20 Jahren das teuerste Musikvideo aller Zeiten.
Zwar werden auch heute noch immer wieder solche epischen Videos veröffentlicht – aktuelle Branchenberichte zeigen jedoch gesamthaft ein anderes Bild: Budgets für Musikvideos seitens Plattenfirmen sind stark geschrumpft. Anstelle eines grossen Clips entstehen heute bei zunehmend mehr Künstlerinnen und Künstlern mehrere kurze, oft auch vertikale Videos für Social Media.
Eine Bühne für Skandale
Zum Bild von MTV gehörten auch immer wieder Kontroversen. Viele Musikvideos waren gezielt so inszeniert, dass sie Aufmerksamkeit und Reibung erzeugten.
So löste Madonnas «Like a Prayer» wegen seiner provokanten religiösen Bildsprache internationale Diskussionen aus, Nirvanas «Heart-Shaped Box» polarisierte mit düsteren und verstörenden Motiven, und bei Britney Spears’ «…Baby One More Time» wurde die sexualisierte Darstellung einer jugendlichen Schülerfigur breit debattiert.
MTV verabschiedet sich vom Musikfernsehen – und überlässt die Popkultur endgültig jenen Orten, an denen heute gescrollt statt gezappt wird.