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Hundertjährige in der Schweiz Warum glückliches Altern nicht nur von guten Genen abhängig ist

Ende 2021 lebten dem Bundesamt für Statistik (BFS) zufolge 1888 Personen über 100 Jahre in der Schweiz. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung wird die Anzahl Hundertjähriger laut BFS weiter zunehmen. Altersforscher François Höpflinger erklärt, was ein zufriedenes Altern begünstigt.

François Höpflinger

Altersforscher

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François Höpflinger ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Zürich. Seit seiner Emeritierung forscht er am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich über das Alter als gesellschaftliche Herausforderung.

SRF News: Was sind die Faktoren für glückliches Altern?

François Höpflinger: Es gibt vier Faktoren: Zum einen die finanzielle Sicherheit, die bei den über 85-Jährigen in der Schweiz deutlich höher ist als in anderen Ländern mit einer schwierigeren Wirtschaftslage. Als zweites gute soziale Kontakte, vielleicht immer weniger mit Gleichaltrigen, aber mit Enkelkindern, Kindern, Nachbarn oder Pflegepersonal. Dritter Punkt ist, dass man sich positiv einstellt auf Dinge, die man nicht ändern kann, zum Beispiel Einschränkungen im Alter.

Heute weiss man, dass man 70 Prozent vom Altwerden beeinflussen kann.

Als vierter Faktor können auch Offenheit und Neugier eine Rolle für glückliches Altern spielen. Menschen, die offen sind für neue Entwicklungen und neugierig sind, was jüngere Personen machen, haben eine bessere Ausgangslage. Sie sind eher in der Lage, in einer Gesellschaft zu leben, die nicht mehr ihre Gesellschaft ist. Denn je länger eine Person lebt, umso mehr lebt sie in einer Gesellschaft, die von jüngeren Menschen geprägt wird.

Frauen im Altersheim hören einem Konzert zu.
Legende: Unter den Hundertjährigen in der Schweiz sind fast 80 Prozent Frauen, wie das Bundesamt für Statistik schreibt. KEYSTONE/Gaetan Bally

Was heisst gutes Altern?

Ernährung, Bewegung, finanzielle Sicherheit, gute soziale Kontakte und sinnvolle Aktivitäten spielen eine wichtige Rolle für ein gutes Altern. Um sehr alt zu werden, muss man jedoch gute Gene haben.

Interessant ist, dass man in den letzten Jahrzehnten die Zunahme der Lebenserwartung und der Hundertjährigen in allen Szenarien immer unterschätzt hat. Man hat nicht erwartet, dass Menschen genetisch und vom Verhalten in der Lage sind, so alt zu werden. Heute weiss man, dass man 70 Prozent vom Altwerden beeinflussen kann.

Wo liegt die Grenze beim hohen Alter?

Früher hat man gesagt, dass die Grenze bei 80, 85 Jahren liegt. Mittlerweile hat sie sich verschoben zu 90 Jahren. Selbst bei über 90-jährigen Menschen kann man heute erfolgreiche komplexe Rückenoperationen durchführen, die vor zehn Jahren nicht möglich gewesen wären. Ab einem sehr hohen Alter ist jedoch beispielsweise die Erholungszeit nach einer Grippe oder das Risiko einer Demenz höher.

Lebenserwartung in der Schweiz im Vergleich mit Europa

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Die Schweiz gehört François Höpflinger zufolge mit Skandinavien, Benelux und Spanien zu den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung in Europa. Weltweit sei die Schweiz in Bezug auf die Lebenserwartung, nach Japan, Singapur und Island, an vierter Stelle. «Die hohe Lebenserwartung in der Schweiz hängt zusammen mit einer guten Absicherung in der Rente, guten Wohnbedingungen, gutem Gesundheitssystem, guter Ordnungsstruktur und Nachbarschaftsbeziehungen sowie vielen regionalen Events», sagt der Altersforscher.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Anzahl Hundertjähriger und Wohnort?

Das ist aufgrund der geringen Anzahl schwierig zu sagen. Man kann aber sagen, dass insgesamt die Lebenserwartung in den Städten etwas höher ist als auf dem Land. Das hat vor allem mit der wirtschaftlichen Situation zu tun, weil die Städte vielfach wohlhabender sind. Denn im hohen Alter ist die Lebenserwartung nicht nur mit dem Geschlecht eng verknüpft, sondern auch mit der finanziellen Situation – die Reichen leben auf jeden Fall länger als die Ärmeren.  

Spielt der Zivilstand eine Rolle im Alter?

Bei Frauen spielt der Zivilstand weniger eine Rolle, bei Männern hingegen schon. Verheiratete Männer haben eine höhere Lebenserwartung als Männer ohne enge Partnerbeziehung. Sie bleiben länger gesund und haben grössere Chancen, dass sie im hohen Alter gepflegt werden.

80 Prozent der Hundertjährigen sind Frauen

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Von 1950 bis 2010 hat sich dem BFS zufolge die Zahl der hundertjährigen und älteren Personen in der Schweiz alle zehn Jahre nahezu verdoppelt. Zwischen 2012 und 2018 sei die Zahl stabil geblieben, bevor ab 2018 ein erneuter Anstieg zu verzeichnen sei. Jedes Jahr würden seither durchschnittlich fast 100 Hundertjährige hinzugewonnen, davon mehr als 80 Prozent Frauen.

Das liegt François Höpflinger zufolge daran, dass Frauen biologisch resilienter sind als Männer. Zudem verhalten sie sich sorgfältiger als Männer. Die Suizidrate sei bei Männern viel höher, auch Rauchverhalten und Übergewicht spielten eine Rolle. «Alles, was die Lebenserwartung reduziert, ist bei Männern häufiger vertreten als bei Frauen», sagt der Altersforscher.

Frauen hingegen sind häufiger verwitwet als Männer, weil sie länger leben und Männer in Paarbeziehungen meistens älter sind als ihre Frauen. Ausserdem heiraten verwitwete Männer häufiger wieder als verwitwete Frauen.

Das Gespräch führte Saya Bausch.

10vor10, 27.12.2022, 21:50 Uhr ; 

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