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Klimaseniorinnen in Strassburg Menschenrechte: Universelle Rechte oder politischer Kampfbegriff?

Ist eine saubere Umwelt ein Menschenrecht? Ja, sagen die Klimaseniorinnen. Heute hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg ihre Klage gegen den Bund behandelt. Doch wie hat sich der Begriff der Menschenrechte entwickelt?

Wie hat sich der Begriff der Menschenrechte in den vergangenen Jahren verändert? Über die Jahre lässt sich die Tendenz beobachten, dass der Begriff der Menschenrechte immer breiter ausgelegt wird. Heute umfasst der Begriff mehr Bereiche als früher. Dies bestätigt Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich. Er nennt unser Verständnis von Diskriminierung als Beispiel: «Begriffe wie Altersdiskriminierung oder Männerdiskriminierung gab es früher nicht. Heute sind das menschenrechtliche Begriffe.»

Weshalb gibt es diese Ausweitung? Dies hat einerseits mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun. So wurde etwa die Anti-Rassismus-Strafnorm erweitert: Heute gilt auch ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Andererseits ist die Ausweitung Ausdruck davon, dass verschiedene politische Akteure die Menschenrechte als wirkungsvolles Mittel in der politischen Debatte entdeckt haben: Wer sich bei einem Anliegen auf die Menschenrechte berufen kann, erhält mehr Gewicht.

Was sind die Folgen davon, dass der Begriff der Menschenrechte heute weiter gefasst wird als früher? Einerseits geniessen dadurch mehr Menschen einen Schutz durch die grundlegenden Freiheitsrechte, die ausgeweitet worden sind. Denken wir beispielsweise an sexuelle Minderheiten. Auf der anderen Seite bedeutet diese Ausweitung des Menschenrechtsbegriffs, dass er nicht mehr von allen Bürgerinnen und Bürgern überparteilich verstanden wird. Insbesondere konservative Kreise fassen die Menschenrechte immer mehr als Kampfbegriff der politischen Linken auf. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Menschenrechte ihren universellen Anspruch verlieren und zum Spielball der Politik werden.

Und wie ist die Klage der Klimaseniorinnen gegen den Bund juristisch einzuordnen: Können sie sich wirklich auf die Menschenrechte berufen? Diese Frage wird letztlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beantworten. Aus juristischer Sicht ist der Fall umstritten: Einige Juristinnen und Juristen argumentieren damit, dass es eine besondere individuelle Betroffenheit braucht, damit sich jemand auf die Menschenrechte berufen kann. Diese Betroffenheit ist aber bei allen Seniorinnen gleichermassen gegeben, nicht bei einzelnen besonders.

Das Gegenargument von anderen Fachleuten lautet, dass durch die Klimaerwärmung das Recht auf Leben und Gesundheit der Seniorinnen gefährdet werde, also sehr grundsätzliche Rechte. Da es um Grundrechte gehe, ist die Klimaklage in dieser Sichtweise menschenrechtsrelevant und legitim.

Rendez-vous, 29.03.2023, 12:30 Uhr

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