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Missbrauch bekämpfen Zirkus sagt Sexismus den Kampf an

Beim Zirkusfestival Young Stage gibt es nicht nur Akrobatik und Zirkusvorführungen, sondern neu auch einen Workshop zu Themen wie Diskriminierung und sexuelle Belästigung. Auslöser dafür waren die MeToo-Bewegung und Corona.

Leistungsdruck und Übergriffe gibt es nicht nur beim Ballett oder Kunstturnen, sondern auch im Zirkus. Bis jetzt war dies allerdings fast nie ein Thema. Das Zirkusfestival Young Stage will das ändern.

«Grenzüberschreitungen gibt es auch in der Zirkuswelt», bestätigt die 25-jährige Basler Artistin Anja Habegger. Sie hat kürzlich eine internationale Zirkusschule abgeschlossen und steht nun am Anfang ihrer Artistinnenkarriere. Wie alle Zirkusartistinnen und -artisten trainiert sie täglich hart und geht an ihre Grenzen. Der Druck ist hoch, der Konkurrenzkampf gross. «Es ist wie im Spitzensport.» Auch die Probleme ähneln sich.

Sexismus in Sport und Kunst

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Kunstturnerin fliegt in der Luft rum. Sie springt grade vom Barren runter.
Legende: Spitzenturnerin Ariella Kaselin wurde während der Trainings oft als dick und dumm beschimpft. Keystone/Allesandro Della

Nach den weltweiten MeToo-Skandalen 2017 wurde das Thema sexuelle Übergriffe auch in der Schweiz breiter diskutiert. Im Nachgang zu den Anschuldigungen und der Verurteilung des ehemaligen Filmproduzenten Harvey Weinstein stellte sich heraus, dass in der Schweiz einige Ausbildungsstätten davon betroffen sind. So klagten zuerst Sportlerinnen der eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen über Trainings mit sexistischen Beleidigungen. Das war 2020 und wurde unter dem Schlagwort «Magglingen-Protokolle» bekannt. Zwei Jahre später wurde öffentlich, dass in Ballettschulen in Zürich, Bern und Basel Tänzerinnen sexistisch beschimpft wurden. Ein weiteres Jahr später meldeten sich ehemalige Trampolin-Nachwuchshoffnungen, die kritisierten, ihnen sei ähnliches widerfahren. Einige hätten dem Sport deswegen den Rücken gekehrt. Weil viele Sportlerinnen und auch einige Sportler Missstände beklagten, wurde die Meldestelle «Swiss Sport Integrity» eröffnet. Bereits im ersten Jahr gingen bei ihr 264 Meldungen ein.

Im Zirkus-Training seien Kommentare über den Körper oder das Gewicht zum Beispiel an der Tagesordnung, über Frauen und Männer, erzählt Habegger. Und es gebe auch andere Grenzüberschreitungen. «Dass dir Leute zu nahe kommen, gibt es leider immer mal wieder», beobachtet Habegger.

Die internationale Zirkusszene ist genau gleich betroffen wie Spitzensport und Tanz.
Autor: Nadja Hauser Direktorin Zirkusfestival Young Stage

Dass neben Tänzerinnen und Sportlerinnen auch Artistinnen und in manchen Fällen Artisten von Sexismus und Diskriminierung innerhalb des Zirkus betroffen sind, bestätigt auch Nadja Hauser, Direktorin des Zirkusfestivals Young Stage: «Die internationale Zirkusszene ist genau gleich betroffen wie Spitzensport und Tanz.» Zahlen dazu gibt es nicht und bisher sind auch kaum konkrete Fälle öffentlich geworden.

Pandemie bringt Thema aufs Tapet

Richtig bewusst geworden ist den Zirkusleuten die Problematik aber nicht nur wegen Berichten über Sportlerinnen und Tänzerinnen in der Schweiz oder der internationalen MeToo-Debatte. Den Ausschlag gegeben habe Corona, sagt Alison Funk vom Verband der Internationalen Zirkusschule (Fedec). Weil die Zirkusvorstellungen ausfielen, hätten sich die Zirkusleute öfter miteinander unterhalten als im meist hektischen Alltag: «Dabei haben sie bemerkt, dass es auch in der Zirkuswelt geschlechtsspezifische Vorurteile und Diskriminierungen gibt und dass sie das ändern wollen.»

Die Fedec hat das zum Anlass genommen, Trainings an Zirkusschulen und Workshops zu organisieren. Ziel sei, die Leitungen der Zirkusschulen zu sensibilisieren und sie mit einem Leitfaden zum Thema auszurüsten, sagt Funk.

Einen solchen Workshop gibt es nun auch am Young Stage Festival. «Wir verstehen uns als Plattform für die internationale Zirkusszene», erklärt Hauser. Auch deshalb wolle man aktuelle Themen aufgreifen beim Zirkusfestival. Mit dem Workshop, der dieses Jahr erstmals durchgeführt wird und der sich an die Zirkusleute richtet, habe man einen Anfang gemacht. Das findet auch Anja Habegger. Sie hat sich für den Kurs angemeldet.

Schweiz Aktuell, 10. Mai 2023, 19 Uhr ; 

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