Ein Stripclub im Zürcher Umland. Das Gebäude ist von aussen unscheinbar, betritt man das Lokal, erinnert es an einen amerikanischen Saloon – leicht aus der Zeit gefallen. Die Luft könnte frischer sein, doch kein Licht dringt in die Räume, Fenster gibt es nicht.
Die Tanzfläche noch leer, die Diskolichter spielen mit den Wänden, dann setzt Musik ein. Der Nachmittag ist vorgeschritten, als Jana die Bühne betritt. Wobei Jana falsch ist, sobald sich die 27-Jährige die High Heels im Stripclub überstreift, nennt sie sich Candy.
Ist Strippen Sexarbeit?
«Ich werde so oder so objektiviert und sexualisiert, dann mache ich doch einfach damit Geld», sagt Jana. Es ist ein Satz, der tief hinter die Kulissen von Jana blicken lässt. Denn für sie gehört Strippen zu Sexarbeit. Sie übt diese Arbeit freiwillig aus, ist sich jedoch bewusst, dass dies nicht bei allen der Fall ist.
«Viele machen keinen Unterschied zwischen Trafficking (Anmerkung der Redaktion: Menschenhandel unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage) und Sexwork. Dabei ist es überhaupt nicht das Gleiche. Wenn ich von Sexarbeit rede, dann rede ich nur von den legalen Bedingungen.»
Janas Passion ist das Tanzen und sie zieht sich dabei gerne aus, setzt sich in Szene. Doch Strippen ist nicht ihre einzige Einnahmequelle. Sie ist zudem noch Showgirl und Instruktorin. Sie leitet Klassen und bringt anderen Frauen das erotische Tanzen bei.
Vom Laborkittel zum Tanz
Janas Werdegang fängt weit weg von der Stripstange an: Sie machte eine Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit. Arbeitete unter anderem in der Pflege und in der Psychiatrie. Danach bildete sie sich als biomedizinische Analytikerin in einer Fachschule weiter aus und verdiente gutes Geld damit.
Sie führte Laboruntersuchungen durch, analysierte Proben von Zellen, Geweben und Körperflüssigkeiten, und unterstützte damit die Diagnose und Behandlung von Krankheiten. «Wenn ich genug Geld verdienen wollen würde, dann wäre ich im Labor geblieben», meint Jana. Doch die Leidenschaft zieht sie aus dem Labor und auf die Bühne.
Tanzen oder Work-out?
Im Stripclub stolziert Candy in schwarzen Lack High Heels auf die Bühne. Sie trägt dunkle Unterwäsche und einen seidenen Umhang, der den oberen Rand ihrer Oberschenkel streift. Schwungvoll dreht sie sich um die Stripstange, der Blick fällt immer wieder verführerisch in den Raum. Akrobatisch wippt sie die Stange auf und ab, die Beine schnellen zur Seite. Der Körper angespannt, hier erkennt man, wie athletisch man sein muss, um diese Figuren an der Stange halten zu können.
Candy im Stripclub
Nach und nach zieht sich Candy aus, bis auf den Slip. Ihre Show dauert etwa drei Minuten, danach sieht man ihr die Anstrengung an. Sie atmet tief, auf der Stirn bilden sich Schweissperlen. So verlässt sie die Bühne nach ihrer Performance und setzt sich an die Bar.
Auf dem Weg ins Separee
Hier auf dem Barhocker kommt sie mit den Besuchern des Stripclubs in Kontakt, mehrheitlich sind dies Männer. Weibliche Besucherinnen sind in diesem Lokal akzeptiert, dies ist aber nicht überall so. Die 27-jährige Stripperin würde sich jedoch über mehr Frauen im Stripclub freuen. Denn diese seien unterstützender, lauter und jubelten ihren Posen ab und zu sogar zu. Candy hört den Kunden zu, fasst auf, was sie zu erzählen haben und lässt sich von ihnen Getränke ausgeben. Jedoch keine alkoholischen, denn sie trinkt seit drei Jahren keinen Alkohol mehr.
Wir sind oft einfach nackte Therapeuten für unsere Gäste.
Sie möchte die Kontrolle über sich und die Situation bewahren. Denn die Kunden seien nicht immer respektvoll mit ihr: «Als Stripperin brauchst du eine Lederhaut. Die Kunden werden grenzüberschreitend sein, werden testen, wo deine Grenzen sind.» Jana erzählt, dass man ihr Unmengen an Geld anbiete, welches die Menschen nicht besitzen würden, um mehr aus ihr herauszuholen.
Ausserdem würden die Menschen sie betrunken machen wollen, damit sie sich mehr füge. Findet Candy ihren Kunden sympathisch, lädt sie die Männer ins Separee ein, für einen kostenpflichtigen Lapdance.
Die nackte Therapeutin
Im Separee ist sie mit ihrem Kunden allein, hier herrscht eine intimere Stimmung als an der Bar. Normalerweise performt sie hier für ihre Kunden, zieht sich aus und bietet eine exklusive Show. Doch nicht alle wollen einen sogenannten Lapdance.
Jana hätte sehr viele Kunden, die einfach reden wollten. Dann würden sie sich aufs Sofa setzen und die Kunden würden ihr von ihrem Leben erzählen. «Es sind schon Kunden im Separee in Tränen ausgebrochen, weil sie sich wohl bei niemand anderem öffnen können. Wir sind oft einfach nackte Therapeuten für unsere Gäste.»
Doppelmoral in der Gesellschaft
«Ich werde oft gefragt, wie ich als Feministin Sexarbeit unterstützen kann, oder sogar selbst dies ausüben kann. Es ist ganz einfach: Der Feminismus muss Sexarbeit unterstützen. Ich kann doch selbst entscheiden, was ich mit meinem Körper mache.» Ganz unter dem Motto: Mein Körper, meine Entscheidung.
Jana klagt die Gesellschaft an: «In der Gesellschaft gibt es eine absolute Doppelmoral. Kunden wollen konsumieren, aber danach wollen sie nichts mehr damit zu tun haben. Viele kommen hierher, geniessen meine Show, zahlen viel Geld, aber sagen: Wenn das meine Tochter machen würde, wäre das mega schlimm.»
Verhüllte Gesichter
Ortswechsel: Einige Masken verhüllen die Gesichter der Gäste in einer hippen Bar im Kreis fünf in Zürich. Jana, irgendwo in den Katakomben des Gebäudes, zieht ihr rechtes Bein bis zum Kopf und wärmt sich so auf. Sie wird an diesem Abend einen Burlesque-Auftritt haben. Burlesque-Shows spielen mit den Elementen von Theater, Tanz, Comedy und Striptease. Hier performt sie unter dem Namen Jana. Ihr Auftritt scheint ästhetischer als im Stripclub, ein bisschen mystischer und verspielter.
Janas Aufritt an der Burlesque-Show
Das Publikum ist diverser, von alt bis jung, Mann wie Frau, zwischen «Yuppies» sitzen auch weniger modebewusste Menschen. Die Musik setzt ein, Jana zelebriert ihren Körper und die Frauen jubeln. Die Männer sitzen meist etwas reservierter daneben. Jana verdient ihr Geld nicht nur im Stripclub, sondern eben auch an solchen Events.
Ein positives Körpergefühl
Durch ihren aussergewöhnlichen Lebensweg hat Jana eine Fülle an Erfahrungen gesammelt. Das negative sowie positive hat sie geprägt, doch eines ist ihr klar, sie will weiter tanzen. Durchs Tanzen sowie die selbstbestimmte Sexarbeit hat sie ihren Körper lieben gelernt.
Ihre Erlebnisse gibt sie an ihre Tanzschülerinnen weiter: «Ich habe lange mit meinem Körper gestruggled. Das sehe ich auch bei meinen Schülerinnen. Mein Ziel ist es, dass sie sagen: Wow, ich mag meinen Körper. Ich lerne, mit meinem Körper umzugehen.»
Jana möchte weiter mit ihrer Leidenschaft, dem Tanzen, Geld verdienen, doch schliesst nicht aus, eines Tages wieder den Laborkittel überzustreifen.