Der Schweizer Tennis-Star Roger Federer soll es sein oder der Sprinter Usain Bolt, Schwimmer Michael Phelps oder Simone Biles: der oder die GOAT. Nein, keine Ziege («Goat») auf English, sondern «The Greatest Of All Time» – also der oder die Grösste aller Zeiten.
Den Begriff geprägt hat die US-Kunstturnerin Simone Biles, die beste in ihrer Sportart. Das sagt auch Roman Schweizer. Der ehemalige Profikunstturner kommentiert für SRF die olympischen Kunstturnwettkämpfe in Paris: «Biles dominiert das Kunstturnen seit rund elf Jahren.»
«Sportart auf neues Niveau katapultiert»
Mit 16 wurde Biles das erste Mal Weltmeisterin im Mehrkampf und war in dieser Zeit mitunter dreimal erfolgreich bei Olympia. «Sie hat die Sportart auf ein neues Niveau katapultiert, indem sie neue Elemente erfunden hat. Es sind so schwierige Elemente, dass ich behaupten würde, dass man das in den nächsten 20, 30 Jahren nicht mehr sehen wird im Kunstturnen der Frauen.»
Wenn Biles in der olympischen Wettkampfhalle aufläuft, ist die Stimmung besonders. Das liegt auch am Publikum. Dort sitzen Grössen wie Anna Wintour, Tom Cruise oder Lady Gaga und applaudieren der Kunstturnerin. «In Paris merkt man, dass sie auch ausserhalb ihrer sportlichen Erfolge eine Vorbildrolle darstellt, im Umgang mit Menschen zum Beispiel», sagt Schweizer. «Das fasziniert viele.»
Biles gelingt bei den Olympischen Spielen ein Comeback: Die Spitzenathletin hat ein grosses Tief überwunden. Bei den Olympischen Spielen in Tokyo 2021 war sie als Favoritin angetreten. Doch eine mentale Blockade hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Die Drehungen funktionierten nicht mehr, sie wusste nicht mehr, wo oben oder unten war, konnte nicht mehr turnen. Biles hat den Wettkampf vorzeitig abgebrochen, auf weitere Medaillen verzichtet und ist eine Weile von der Bildfläche verschwunden.
Ob sie je wieder zurückkommen würde, war damals nicht klar. «Eine solche Blockade kann das Karriereende bedeuten», sagt Schweizer. «Wenn du nicht mehr weisst, wo du in der Luft bist, wenn du viele Saltos und Schraubenrotationen drehst, ist das gefährlich.»
Doch Biles ist zurückgekommen zu den Basics, hat wieder alles aufgebaut und mit ihrem neuen Sprung «Biles 2» in Paris gezeigt, dass es aufwärts geht mit ihr.
Von der Ausnahmesportlerin zur GOAT
Das klingt beeindruckend. Aber was macht eine Ausnahmesportlerin zur besten aller Zeiten? Für Roman Schweizer ist es, dass sie bewiesen habe, dass sie wieder aufstehen könne. «Um eine GOAT zu werden, braucht es mehr als sportlichen Rekorde. Es braucht eine gewisse Strahlkraft, die über das Sportliche hinausgeht.»
Gleicher Meinung ist Sporthistoriker Stephan Wassong, Direktor des Zentrums für Olympische Sportstudien an der Deutschen Sporthochschule Köln. «Für mich sind GOAT etwas Besonderes. Menschen, die durch hervorragende sportliche Leistungen auftreten, die aber auch über die sportlichen Leistungen hinaus eine besondere Charakterstärke zeigen.»
Laut Wassong zeigen GOAT Selbstdisziplin und Selbstvertrauen, haben eine Persönlichkeitsstruktur, die sich über lange Zeit hinweg entwickelt hat und teilweise auch vorzeigbar ist.
Doch: Auch GOAT haben Schwächen. Bei Simone Biles sei es der Stufenbarren, sagt Roman Schweizer. Dort hat sie es am Sonntag nicht ins Finale geschafft. Aber dort, wo sie brilliert – am Boden und auf dem Sprung – wird Biles wohl am Dienstag beim Teamfinale der Frauen wieder im Einsatz sein.