Ehemalige Schülerinnen und Schüler am Bodywork Center in Zürich erzählen von ihren Erfahrungen während ihrer Ausbildung zur Tantramasseurin oder zum Sexological Bodyworker.
Sie schildern Momente, in denen persönliche Grenzen nicht respektiert worden seien und sie einen Gruppendruck verspürt hätten. Sie werfen dem Schulleiter vor, seine Machtposition ausgenutzt zu haben.
Hintergrund: Bodywork Center
Das Bodywork Center in Zürich bietet eine Vielzahl von Ausbildungen und Kursen rund um das Thema Sexualität an – von Tantramassagen über Sexological Bodywork bis hin zu Beckenbodentraining.
Das Credo der Schule lautet: Selbsterfahrung. Alles soll zunächst am eigenen Körper erlebt werden, bevor es später im beruflichen Kontext weitergegeben wird. Sei es als Tantramasseurin oder Sexualberater.
Der Einstiegskurs: Intime Übungen unter Gruppendruck
Mehrere Absolventinnen und Absolventen der Ausbildung zu Sexological Bodywork berichten, dass der Einführungskurs einem festen Ablauf folgte. So erzählt es auch Patricia Heierli gegenüber SRF Impact: «Am ersten Tag masturbiert man mit rund 20 Personen im Raum. Am zweiten Tag berührt man gegenseitig die Genitalien und am dritten Tag folgen anale Berührungen.»
Viele empfanden die ersten Kurstage rückblickend als überfordernd. Die Übungen hätten in schneller Abfolge stattgefunden, einige verspürten einen Gruppendruck, mitmachen zu müssen. Die Partnerwahl wurde ausgelost. Laut Patricia Heierli begründete das Bodywork Center diese Vorgehensweise per Los damit, dass so das Universum entscheide.
Die ehemaligen Teilnehmenden erzählen, es sei ihnen teilweise schwergefallen, eine Übung nicht zu machen, da sie dies vor der gesamten Gruppe begründen mussten. Das Bodywork Center nahm schriftlich zu den Vorwürfen Stellung.
Nach Angaben der Schule haben Zehntausende Kurse und Ausbildungen am Bodywork Center besucht. Die meisten seien zufrieden gewesen.
Zu den Vorwürfen nahm das Bodywork Center schriftlich Stellung: «In gewissen Kursen werden die Partner zunächst per Los ausgewählt, anschliessend entscheiden beide frei, ob und in welcher Form sie zusammenarbeiten möchten. Jede Paarung wird von der Kursleitung überprüft und bei Unstimmigkeiten suchen wir gemeinsam so weit möglich nach einer für alle stimmigen Lösung. [...] Freiwilligkeit ist oberstes Prinzip. Wer Übungen nicht machen möchte, kann jederzeit seine Grenzen mitteilen und sich enthalten.»
Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch
Patricia Heierli erinnert sich an eine Situation, die sie besonders belastet hat: «Am letzten Tag hiess es, ‹wir machen jetzt Analfisting›. Ich wollte das nicht. Ich habe angefangen zu weinen und wollte den Raum verlassen. Man bat mich, im Raum zu bleiben – das sei gut für mich. Erst nach 15 Minuten verliess ich schluchzend den Raum.»
Der Schulleiter des Bodywork Centers meinte dazu: «Analfisting ist kein Bestandteil unseres Ausbildungsangebots und wurde in unserem Center nie praktiziert. Richtig ist, dass wir Übungen mit analen Berührungen durchführen.»
Auch Claudia* bestätigt: «Wenn jemand etwas nicht machen wollte, wurde das fast nicht akzeptiert. Es hiess, man habe dort ein Thema, bei dem man erst recht hineingehen solle.»
Mehrere ehemalige Schülerinnen erzählen, sie seien in gewissen Kursen retraumatisiert worden. In der Vergangenheit hätten sie sexuelle Übergriffe erfahren, die innerhalb der Ausbildung wieder hochgekommen seien.
Es kann ein Versuch sein, die eigene Sexualität wieder voll auszuleben. Werden jedoch Grenzen nicht respektiert, erlebt man erneut dieselbe Ohnmacht.
Brigitte Kämpf der Frauenberatung sexuelle Gewalt in Zürich meint dazu: «Man geht davon aus, dass jede fünfte Frau ab 16 Jahren einmal sexuelle Gewalt in ihrem Leben erlebt hat. Man muss also damit rechnen, dass in so einer Ausbildung Menschen sind, die bereits Grenzverletzungen erlebt haben. Das ist nicht die Ausnahme, sondern wahrscheinlich die Regel.»
Eine solche Ausbildung zu absolvieren, könne auch Teil eines Heilungsprozesses sein, sagt Brigitte Kämpf: «Es kann ein Versuch sein, die eigene Sexualität wieder voll auszuleben und einen gesunden Umgang damit zu finden. Werden dabei jedoch Grenzen nicht respektiert, erlebt man erneut dieselbe Ohnmacht wie in der ursprünglichen belastenden Situation. Es handelt sich dabei um eine Form von Retraumatisierung, die an die alte Erfahrung erinnern und wieder etwas lostreten kann.»
«Zu Beginn unserer Tätigkeit bestanden keine einheitlichen ethischen Standards, da es sich um ein neu entstehendes Feld handelte. Heute verfügen wir über ein umfassendes ethisches Regelwerk. [...] Wir arbeiten derzeit daran, diese Regelungen auf unserer Website sichtbarer und verständlicher zu machen – Ihr Hinweis dazu ist berechtigt und wird umgesetzt», schreibt der Schulleiter in seiner Stellungnahme.
Schulleiter räumt Fehler ein
Christian Schelbert, früher Schüler und Assistent an der Schule, erzählt: «Eines Tages erhielt ich eine Mail vom Schulleiter. Darin teilte er mir mit, dass es einen Missbrauchsvorwurf gegen ihn gebe.»
Ich bin mir bewusst, dass ich vor allem zu Beginn meiner Arbeit viele Fehler gemacht habe. Ich war nicht sehr klar mit Rollen und Grenzen und da hat sich vieles vermischt.
Die Mail liegt SRF Impact vor. Darin schreibt der Schulleiter unter anderem: «Eine Frau hat ihm gegenüber die Aussage gemacht, dass ich sie nach einem Sexological-Bodywork-Training missbraucht habe.»
Weiter schreibt der Schulleiter in der Mail an Christian: «Ich bin mir bewusst, dass ich vor allem zu Beginn meiner Arbeit viele Fehler gemacht habe. Ich war nicht sehr klar mit Rollen und Grenzen und da hat sich vieles vermischt. [...] Dass ich mit meiner Rolle natürlich auch eine Macht und Anziehung ausgeübt habe. Und dies auch ausgenutzt habe.»
SRF Impact gegenüber schreibt der Schulleiter des Bodywork Centers dazu: «Auf Anraten von Joseph Kramer [habe ich mich] [...] unter Begleitung von Fachpersonen einem strukturierten Accountability-Prozess unterzogen. In diesem Prozess wurden verschiedene Aspekte meiner beruflichen Anfangszeit aufgearbeitet, insbesondere mein Rollenverständnis als Kursleiter.»
Strukturen und Hierarchien
Rafael Walthert, Religionswissenschaftler und Soziologe an der Universität Zürich, ordnet die Schule ein: «Auffällig ist der starke Körperbezug. Körper und Sexualität werden als zentraler Weg zu einem besseren Leben betrachtet.»
Laut einer Teilnehmerin habe die Haltung der Schule etwas Kulthaftes. Laut ihr sei dort folgendes gelehrt worden: «Wir wissen, wie es besser wäre. Darum kommen die Leute zu uns. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist noch immer stark tabuisiert und weiss das nicht. Wir sind hier und lernen das Wichtigste – etwas, das der Grossteil der Gesellschaft nicht versteht.»
Rafael Walthert meint zur Aussage der Schule, dass damit ein Gegensatz geschaffen werde zwischen denen, die sich den Zugang zu dieser besseren Welt erschliessen und darin Grenzen überschreiten und der Gesellschaft, die dies nicht tue – die tabuisierte Gesellschaft. Das erzeuge ein klares Innen und Aussen, zwischen dem, was richtig und was falsch ist.
Er war der Guru. Er hatte die Fäden in der Hand. Das, was er gesagt hat, galt.
Ehemalige Teilnehmende berichten von einer klaren Hierarchie mit dem Schulleiter an der Spitze: «Er war der Guru. Er hatte die Fäden in der Hand. Das, was er gesagt hat, galt», sagt Claudia.
Patricia Heierli, die in einer Sekte aufgewachsen ist, zieht Parallelen: «Für mich zeigte die Schule sektenartige Strukturen auf. Man stellt jemanden auf ein Podest und die Person macht und sagt alles richtig.»
«Eine charismatische Führerfigur»
Rafael Walthert ordnet folgende Merkmale sektenähnlichen Mustern zu: «Wir sehen eine charismatische Führerfigur im Zentrum, die als besonders aussergewöhnlich gilt. Eine klare Hierarchie und eine Abgrenzung nach aussen.»
Der Schulleiter nimmt dazu wie folgt Stellung: «Das Bodywork Center ist eine offene Bildungseinrichtung mit klaren ethischen Leitlinien, vielfältigen Kursleitungen und freiwilliger Teilnahme. [...] Dass einzelne mich als prägende Figur erlebt haben, mag mit meiner langjährigen Erfahrung und Sichtbarkeit zusammenhängen – eine hierarchische oder verehrende Struktur wird bei uns jedoch weder gefördert noch gelebt.»
Auch Patrick Angele, ehemaliger Schüler und Lehrer am Bodywork Center unterstreicht die Hierarchie und Machtdynamiken in seinen Erzählungen. Er kritisiert die Abschlussprüfung in der Tantra-Massageausbildung. Viele hätten den Schulleiter oder seine Partnerin massieren müssen, ohne dass eine Drittperson zur Beurteilung anwesend gewesen sei.
«Entscheidend finde ich, dass in so einer Prüfungssituation sonst niemand mehr anwesend ist. Das zeigt sehr deutlich, dass es eigentlich niemanden gibt, der das noch mitbeurteilen könnte oder sollte. Alles liegt dann im Ermessen der Leitenden. Genau das macht das strukturelle Problem und die starke Hierarchie deutlich», ordnet Rafael Walthert ein.
Die Schule schreibt: «Die Abschlussmassage erfolgt innerhalb eines klar definierten professionellen Rahmens und ist weder intim noch erotisch intendiert. Die Rollenverteilung ist transparent und die Prüfungssequenz ist methodisch klar strukturiert.»
Weiter meint das Bodywork Center: «95 % der Besucher:innen waren und sind zufrieden bis sehr zufrieden mit unserem Kursangebot. [...] Wir nehmen Rückmeldungen sehr ernst, seit 18 Jahren arbeiten wir mit einem strukturierten persönlichen Feedbacksystem und suchen den Dialog mit Teilnehmenden, wenn Klärung nötig ist. Rückblickend habe ich erkannt, dass mein Verständnis für Rollen und Machtgefälle in der Vergangenheit in bestimmten Situationen, insbesondere dort, wo Nähe und Vertrauen eine zentrale Rolle spielten, nicht ausreichend war. Über die Jahre und insbesondere während eines persönlichen Accountability-Prozesses [...] habe ich mich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt und daraus wichtige Lehren gezogen.»
*Name geändert und der Redaktion bekannt.