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Vorwürfe an Tantra-Schule Ex-Schülerinnen berichten von Machtmissbrauch in Tantra-Schule

Wer in der Schweiz eine Ausbildung im Bereich Tantramassage und Körperarbeit machen will, kommt am Bodywork Center in Zürich kaum vorbei. Doch ehemalige Teilnehmende berichten von Gruppendruck, Grenzüberschreitungen und «sektenartigen Strukturen».

Ehemalige Schülerinnen und Schüler am Bodywork Center in Zürich erzählen von ihren Erfahrungen während ihrer Ausbildung zur Tantramasseurin oder zum Sexological Bodyworker.

Sie schildern Momente, in denen persönliche Grenzen nicht respektiert worden seien und sie einen Gruppendruck verspürt hätten. Sie werfen dem Schulleiter vor, seine Machtposition ausgenutzt zu haben.

Hintergrund: Bodywork Center

Das Bodywork Center in Zürich bietet eine Vielzahl von Ausbildungen und Kursen rund um das Thema Sexualität an – von Tantramassagen über Sexological Bodywork bis hin zu Beckenbodentraining.

Tantramassage

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Tantra hat seine Wurzeln in Indien und ist Teil hinduistischer und buddhistischer Traditionen. In der ursprünglichen Lehre spielt Sexualität jedoch nur eine kleine Rolle.

Im Westen wurde Tantra häufig mit der Vorstellung von «besserem Sex» verknüpft – als Verbindung von Sex und Meditation. Der umstrittene Sektenführer Osho trug massgeblich dazu bei, Tantra im Westen zu verbreiten.

Tantramassagen sind Ganzkörpermassagen, die auch Genital- oder Analberührungen beinhalten können.

Das Credo der Schule lautet: Selbsterfahrung. Alles soll zunächst am eigenen Körper erlebt werden, bevor es später im beruflichen Kontext weitergegeben wird. Sei es als Tantramasseurin oder Sexualberater.

Ein Mann massiert eine Frau nackt im Intimbereich
Legende: Patrick Angele und Patricia Heierli haben die Ausbildung am Bodywork Center absolviert und arbeiten heute als Tantramasseure. SRF

Sexological Bodywork

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Sexological Bodywork wurde in den 1980er- Jahren vom US-Amerikaner Joseph Kramer entwickelt. Ziel ist es, Menschen bei der Erforschung ihrer Sexualität zu unterstützen. Dies kann konkrete Probleme betreffen und die Arbeit kann mit oder ohne körperlichen Berührungen erfolgen.

Der Einstiegskurs: Intime Übungen unter Gruppendruck

Mehrere Absolventinnen und Absolventen der Ausbildung zu Sexological Bodywork berichten, dass der Einführungskurs einem festen Ablauf folgte. So erzählt es auch Patricia Heierli gegenüber SRF Impact: «Am ersten Tag masturbiert man mit rund 20 Personen im Raum. Am zweiten Tag berührt man gegenseitig die Genitalien und am dritten Tag folgen anale Berührungen.»

Viele empfanden die ersten Kurstage rückblickend als überfordernd. Die Übungen hätten in schneller Abfolge stattgefunden, einige verspürten einen Gruppendruck, mitmachen zu müssen. Die Partnerwahl wurde ausgelost. Laut Patricia Heierli begründete das Bodywork Center diese Vorgehensweise per Los damit, dass so das Universum entscheide.

Die ehemaligen Teilnehmenden erzählen, es sei ihnen teilweise schwergefallen, eine Übung nicht zu machen, da sie dies vor der gesamten Gruppe begründen mussten. Das Bodywork Center nahm schriftlich zu den Vorwürfen Stellung.

Nach Angaben der Schule haben Zehntausende Kurse und Ausbildungen am Bodywork Center besucht. Die meisten seien zufrieden gewesen.

Zu den Vorwürfen nahm das Bodywork Center schriftlich Stellung: «In gewissen Kursen werden die Partner zunächst per Los ausgewählt, anschliessend entscheiden beide frei, ob und in welcher Form sie zusammenarbeiten möchten. Jede Paarung wird von der Kursleitung überprüft und bei Unstimmigkeiten suchen wir gemeinsam so weit möglich nach einer für alle stimmigen Lösung. [...] Freiwilligkeit ist oberstes Prinzip. Wer Übungen nicht machen möchte, kann jederzeit seine Grenzen mitteilen und sich enthalten.»

Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch

Patricia Heierli erinnert sich an eine Situation, die sie besonders belastet hat: «Am letzten Tag hiess es, ‹wir machen jetzt Analfisting›. Ich wollte das nicht. Ich habe angefangen zu weinen und wollte den Raum verlassen. Man bat mich, im Raum zu bleiben – das sei gut für mich. Erst nach 15 Minuten verliess ich schluchzend den Raum.»

Der Schulleiter des Bodywork Centers meinte dazu: «Analfisting ist kein Bestandteil unseres Ausbildungsangebots und wurde in unserem Center nie praktiziert. Richtig ist, dass wir Übungen mit analen Berührungen durchführen.»

Eine Frau im mit blonden Haaren, Brille und  grünem Shirt sitzt vor einer weissen Wand.
Legende: Patricia Heierli war Schülerin am Bodywork Center. SRF

Auch Claudia* bestätigt: «Wenn jemand etwas nicht machen wollte, wurde das fast nicht akzeptiert. Es hiess, man habe dort ein Thema, bei dem man erst recht hineingehen solle.»

Mehrere ehemalige Schülerinnen erzählen, sie seien in gewissen Kursen retraumatisiert worden. In der Vergangenheit hätten sie sexuelle Übergriffe erfahren, die innerhalb der Ausbildung wieder hochgekommen seien.

Es kann ein Versuch sein, die eigene Sexualität wieder voll auszuleben. Werden jedoch Grenzen nicht respektiert, erlebt man erneut dieselbe Ohnmacht.
Autor: Brigitte Kämpf Frauenberatung sexuelle Gewalt, Zürich

Brigitte Kämpf der Frauenberatung sexuelle Gewalt in Zürich meint dazu: «Man geht davon aus, dass jede fünfte Frau ab 16 Jahren einmal sexuelle Gewalt in ihrem Leben erlebt hat. Man muss also damit rechnen, dass in so einer Ausbildung Menschen sind, die bereits Grenzverletzungen erlebt haben. Das ist nicht die Ausnahme, sondern wahrscheinlich die Regel.»

Eine Frau mit braunen Haaren und blauer Jacke sitzt vor einem Fenster.
Legende: Brigitte Kämpf von der Frauenberatung sexuelle Gewalt in Zürich. SRF

Eine solche Ausbildung zu absolvieren, könne auch Teil eines Heilungsprozesses sein, sagt Brigitte Kämpf: «Es kann ein Versuch sein, die eigene Sexualität wieder voll auszuleben und einen gesunden Umgang damit zu finden. Werden dabei jedoch Grenzen nicht respektiert, erlebt man erneut dieselbe Ohnmacht wie in der ursprünglichen belastenden Situation. Es handelt sich dabei um eine Form von Retraumatisierung, die an die alte Erfahrung erinnern und wieder etwas lostreten kann.»

«Zu Beginn unserer Tätigkeit bestanden keine einheitlichen ethischen Standards, da es sich um ein neu entstehendes Feld handelte. Heute verfügen wir über ein umfassendes ethisches Regelwerk. [...] Wir arbeiten derzeit daran, diese Regelungen auf unserer Website sichtbarer und verständlicher zu machen – Ihr Hinweis dazu ist berechtigt und wird umgesetzt», schreibt der Schulleiter in seiner Stellungnahme.

Schulleiter räumt Fehler ein

Christian Schelbert, früher Schüler und Assistent an der Schule, erzählt: «Eines Tages erhielt ich eine Mail vom Schulleiter. Darin teilte er mir mit, dass es einen Missbrauchsvorwurf gegen ihn gebe.»

Ich bin mir bewusst, dass ich vor allem zu Beginn meiner Arbeit viele Fehler gemacht habe. Ich war nicht sehr klar mit Rollen und Grenzen und da hat sich vieles vermischt.
Schulleiter des Bodywork Centers

Die Mail liegt SRF Impact vor. Darin schreibt der Schulleiter unter anderem: «Eine Frau hat ihm gegenüber die Aussage gemacht, dass ich sie nach einem Sexological-Bodywork-Training missbraucht habe.»

Ein Mann mit Aschblondem Haar und schwarzem T-shirt sitzt vor einer rötlichen Wand.
Legende: Christian Schelbert war Schüler, Assistent und Kursleiter am Bodywork Center. SRF

Weiter schreibt der Schulleiter in der Mail an Christian: «Ich bin mir bewusst, dass ich vor allem zu Beginn meiner Arbeit viele Fehler gemacht habe. Ich war nicht sehr klar mit Rollen und Grenzen und da hat sich vieles vermischt. [...] Dass ich mit meiner Rolle natürlich auch eine Macht und Anziehung ausgeübt habe. Und dies auch ausgenutzt habe.»

SRF Impact gegenüber schreibt der Schulleiter des Bodywork Centers dazu: «Auf Anraten von Joseph Kramer [habe ich mich] [...] unter Begleitung von Fachpersonen einem strukturierten Accountability-Prozess unterzogen. In diesem Prozess wurden verschiedene Aspekte meiner beruflichen Anfangszeit aufgearbeitet, insbesondere mein Rollenverständnis als Kursleiter.»

Strukturen und Hierarchien

Rafael Walthert, Religionswissenschaftler und Soziologe an der Universität Zürich, ordnet die Schule ein: «Auffällig ist der starke Körperbezug. Körper und Sexualität werden als zentraler Weg zu einem besseren Leben betrachtet.»

Ein Mann und eine Frau, die Moderatorin stehen an einem Stehtisch vor einem Laptop und sprechen miteinander.
Legende: Rafael Walthert, Religionswissenschaftler und Soziologe, ordnet das Bodywork Center ein. SRF

Laut einer Teilnehmerin habe die Haltung der Schule etwas Kulthaftes. Laut ihr sei dort folgendes gelehrt worden: «Wir wissen, wie es besser wäre. Darum kommen die Leute zu uns. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist noch immer stark tabuisiert und weiss das nicht. Wir sind hier und lernen das Wichtigste – etwas, das der Grossteil der Gesellschaft nicht versteht.»

Rafael Walthert meint zur Aussage der Schule, dass damit ein Gegensatz geschaffen werde zwischen denen, die sich den Zugang zu dieser besseren Welt erschliessen und darin Grenzen überschreiten und der Gesellschaft, die dies nicht tue – die tabuisierte Gesellschaft. Das erzeuge ein klares Innen und Aussen, zwischen dem, was richtig und was falsch ist.

Er war der Guru. Er hatte die Fäden in der Hand. Das, was er gesagt hat, galt.
Autor: Claudia* Ausbiildung am Bodywork Center.

Ehemalige Teilnehmende berichten von einer klaren Hierarchie mit dem Schulleiter an der Spitze: «Er war der Guru. Er hatte die Fäden in der Hand. Das, was er gesagt hat, galt», sagt Claudia.

Patricia Heierli, die in einer Sekte aufgewachsen ist, zieht Parallelen: «Für mich zeigte die Schule sektenartige Strukturen auf. Man stellt jemanden auf ein Podest und die Person macht und sagt alles richtig.»

«Eine charismatische Führerfigur»

Rafael Walthert ordnet folgende Merkmale sektenähnlichen Mustern zu: «Wir sehen eine charismatische Führerfigur im Zentrum, die als besonders aussergewöhnlich gilt. Eine klare Hierarchie und eine Abgrenzung nach aussen.»

Der Schulleiter nimmt dazu wie folgt Stellung: «Das Bodywork Center ist eine offene Bildungseinrichtung mit klaren ethischen Leitlinien, vielfältigen Kursleitungen und freiwilliger Teilnahme. [...] Dass einzelne mich als prägende Figur erlebt haben, mag mit meiner langjährigen Erfahrung und Sichtbarkeit zusammenhängen – eine hierarchische oder verehrende Struktur wird bei uns jedoch weder gefördert noch gelebt.»

Ein Mann im weissen Hemd und braunen Haaren und Bart sitz vor einer weissen Wand.
Legende: Patrick Angele war Schüler und Lehrer am Bodywork Center in Zürich. SRF

Auch Patrick Angele, ehemaliger Schüler und Lehrer am Bodywork Center unterstreicht die Hierarchie und Machtdynamiken in seinen Erzählungen. Er kritisiert die Abschlussprüfung in der Tantra-Massageausbildung. Viele hätten den Schulleiter oder seine Partnerin massieren müssen, ohne dass eine Drittperson zur Beurteilung anwesend gewesen sei.

«Entscheidend finde ich, dass in so einer Prüfungssituation sonst niemand mehr anwesend ist. Das zeigt sehr deutlich, dass es eigentlich niemanden gibt, der das noch mitbeurteilen könnte oder sollte. Alles liegt dann im Ermessen der Leitenden. Genau das macht das strukturelle Problem und die starke Hierarchie deutlich», ordnet Rafael Walthert ein.

Die Schule schreibt: «Die Abschlussmassage erfolgt innerhalb eines klar definierten professionellen Rahmens und ist weder intim noch erotisch intendiert. Die Rollenverteilung ist transparent und die Prüfungssequenz ist methodisch klar strukturiert.»

Weiter meint das Bodywork Center: «95 % der Besucher:innen waren und sind zufrieden bis sehr zufrieden mit unserem Kursangebot. [...] Wir nehmen Rückmeldungen sehr ernst, seit 18 Jahren arbeiten wir mit einem strukturierten persönlichen Feedbacksystem und suchen den Dialog mit Teilnehmenden, wenn Klärung nötig ist. Rückblickend habe ich erkannt, dass mein Verständnis für Rollen und Machtgefälle in der Vergangenheit in bestimmten Situationen, insbesondere dort, wo Nähe und Vertrauen eine zentrale Rolle spielten, nicht ausreichend war. Über die Jahre und insbesondere während eines persönlichen Accountability-Prozesses [...] habe ich mich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt und daraus wichtige Lehren gezogen.»

«SRF Impact Reportage»

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Sie sehen das Logo von SRF Impact Reportage.
Legende: SRF

So kompliziert und vielschichtig unsere Welt auch ist, wir wollen sie verstehen. Dafür gehen wir auf die Suche nach Antworten. In Reportagen tauchen wir ein in unsere Schweizer Gesellschaft und nehmen dich mit: Gib dir Deep Talk, Zweifel und Lichtblicke mit unseren Hosts Amila Redzic und Livio Carlin.

Alle Folgen «SRF Impact Reportage» sind auf Play SRF.

*Name geändert und der Redaktion bekannt. 

SRF 2, Impact, 25.09.2025, 23:55 Uhr.

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