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Eine kritische Aufarbeitung bleibt nach wie vor aus
Aus SRF 4 News aktuell vom 15.07.2019.
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3 Jahre nach dem Putschversuch «Der Schock sitzt noch tief»

Vor drei Jahren haben sich in der Türkei Teile der Armee aufgelehnt. Der Aufstand gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan scheiterte. Offiziellen Angaben zufolge starben 250 Menschen. Ermittlungsbehörden machten die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich.

Thomas Seibert

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert ist seit 1997 Korrespondent für den deutschen «Tagesspiegel» in Istanbul und berichtet auch für andere Medien, unter anderem für SRF.

SRF News: Was bedeutet der Jahrestag des Putschversuchs für die türkische Bevölkerung?

Thomas Seibert: Es ist ein wichtiges Ereignis. Der Schock über die damaligen Ereignisse sitzt noch tief. Heute ist ein offizieller Feiertag. Es gibt eine Sondersitzung des Parlaments und Präsident Erdogan wird in Istanbul am ehemaligen Flughafen eine Kundgebung leiten. Ausschreitungen werden keine erwartet – es wird eine Massenkundgebung von Regierungsanhängern.

Im Rahmen dieses Feiertags eröffnet Erdogan ein Museum zum Putschversuch. Was ist dessen Zweck?

Das Museum ist in der Nähe einer Autobahnbrücke über den Bosporus gebaut worden. Diese Brücke wurde von den Putschisten vorübergehend besetzt. Gezeigt wird das Heldenepos des Widerstands gegen die Aufständischen. Da ist etwa ein Auto zu sehen, das von einem Panzer der Putschisten niedergewalzt wurde oder Schuhe von Menschen, die in der Nacht auf dieser Brücke getötet wurden.

Menschen fahren mit Panzer über Autos
Legende: Keystone/Archiv

Aber das Museum dient der Verbreitung der staatlichen Version der Putschnacht. Eine kritische, unabhängige Auseinandersetzung findet nach wie vor nicht statt. Die Regierung hat eine Aufarbeitung im Parlament auch verhindert – aus einem ganz bestimmten Grund: Die Regierungspartei AKP hatte über Jahre mit der Bewegung von Fethullah Gülen, dem angeblichen Putschistenführer, zusammengearbeitet. Der AKP wäre es sehr unangenehm, wenn diese ehemalig engen Verflechtungen ans Tageslicht kämen.

Mehr als 100 Medien mussten schliessen

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Nach dem Putschversuch liess Erdogan per Dekret mehr als 100 Medien und Verlage schliessen. Zahlreiche Journalisten sitzen ausserdem im Gefängnis, viele davon ohne Anklage in Untersuchungshaft. (dpa)

Wie kommt das in der Bevölkerung an, dass keine Aufarbeitung stattfindet?

Da gibt es allmählich Veränderungen, Sachen werden hinterfragt. Eine Oppositionszeitung meldete am Morgen, Spendengelder für die Angehörigen der damals getöteten Zivilisten seien nie bei den Bedürftigen angekommen. Auch der Umgang der AKP mit den mutmasslichen Gülen-Anhängern wird immer weiter hinterfragt, auch in der Partei selbst.

Missstände werden immer offener angeprangert.

Es gibt viel Kritik daran, dass mächtige AKP-Mitglieder nach wie vor auf ihren Posten sind, obwohl sie früher mit Gülen zusammengearbeitet haben und gleichzeitig viele andere Menschen ihren Job verloren oder im Gefängnis sind, weil sie ein Konto bei einer Bank hatten, die der Gülen-Bewegung nahestand. Diese Missstände werden immer offener angeprangert.

Türkische Soldaten
Legende: Regierungstreue Soldaten sichern eine Kundgebung Erdogans in der Nacht des Putschversuchs: Mehr als 15'000 Militärangehörige verloren nach dem Aufstand ihren Job. Keystone/Archiv

Erdogan hat seit dem Putschversuch zehntausende Verdächtige verhaften lassen, mehr als hunderttausend Personen wurden aus dem Staatsdienst entlassen. Gibt es Zeichen, dass sich diese Situation ändert?

Diese Ungerechtigkeiten bei der Verfolgung vermeintlicher Gülen-Anhänger werden stärker angeprangert. Der Staat selber hat bis jetzt nur relativ wenig reagiert. Nur wenige Tage vor dem Jahrestag gab es wieder 200 Haftbefehle gegen Soldaten und Offiziere.

Die Säuberungswellen in den staatlichen Institutionen rollen weiter.

Diese Säuberungswellen in den staatlichen Institutionen rollen also weiter. Der Berufungsgerichtshof hat aber vor kurzem lebenslange Haftstrafen gegen zwei prominente Journalisten aufgehoben, denen eine Verbindung zu Gülen in die Schuhe geschoben werden sollte. Es gibt kleinere Anzeichen der Veränderung, aber von einem Trend kann man noch nicht sprechen.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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