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39 Tote in einem LKW «Migranten müssen ihre Lebensversicherung verkaufen»

Ein östlich von London aufgefundener Lastwagen mit 39 Leichen sorgt für Schlagzeilen.

Erschüttert, aber nicht wirklich überrascht angesichts des traurigen Vorfalls zeigt sich Gerald Tatzgern. Er leitet in Österreich die Bundes-Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität.

Gerald Tatzgern

Österreichisches Bundeskriminalamt

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Gerald Tatzgern leitet im österreichischen Bundeskriminalamt die «Zentralstelle Bekämpfung Schlepperkriminalität und Menschenhandel»

SRF News: Weshalb sind Sie nicht überrascht?

Gerald Tatzgern: Wir erinnern uns an den Fall in Österreich 2015, als wir einen Lastwagen mit 71 Leichen gefunden haben. Seither hat sich am Geschäft der Schlepper nichts geändert. Viele Migranten wollen nach Europa oder quer durch den Kontinent. Auch müssen die Migranten den Schlepperlohn vor dem Transport bezahlen. Damit verkaufen sie ihre Lebensversicherung, denn der Schlepper hat das kriminelle Geschäft dann ja bereits gemacht.

Jedes Jahr werden Tausende Migranten illegal in LKWs oder Schiffen nach Grossbritannien gebracht. Warum ist das Land ein so begehrtes Ziel?

Grossbritannien ist nicht begehrter als andere Länder. Weil es sich aber um eine Insel handelt, kann man nur per Schiff oder Tunnel dorthin gelangen. Es gibt keine grüne Grenze wie etwa zwischen Österreich und Deutschland. Das macht es für die Migranten besonders gefährlich.

Die Migranten müssen den Schlepperlohn schon vor dem Transport bezahlen. So verkaufen sie ihre Lebensversicherung.

Der fragliche LKW kam per Fähre von Belgien nach Purfleet im Osten Englands. Hat der Fahrer womöglich diese Strecke gewählt, weil es in den Hafenstädten Calais in Frankreich und Dover im Süden Englands strengere Kontrollen gibt?

Im konkreten Fall kann ich das nicht beurteilen. Aber wir stellen fest, dass eine Schlepperroute oftmals nicht sehr rational wirkt. Es gibt Umwege, Zeitverzögerungen, Schwierigkeiten, welche die Route mitbestimmen. Migranten oder Schleuser wählen diejenige Route aus, die für sie die beste ist – das hat aber nichts mit der schnellsten oder plausibelsten Route zu tun.

Schwer traumatisiert und in Panik

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«Manchmal sind mehrere Menschen in Doppelböden von Fahrzeugen unter Platten untergebracht, in Hohlräumen, die nur 25 cm hoch sind – und das während Stunden», sagt Gerald Tatzgern. Die Böden seien verschraubt, die Menschen hätten keine Chance, jemals aus eigener Kraft aus dem Versteck zu kommen. «In vielen Fällen sind sie schwer traumatisiert oder panisch. Sie verkaufen quasi ihr Leben, um von A nach B zu kommen.»

Hat der Fall von 2015, als in Österreich 71 tote Migranten in einem LKW gefunden wurden, die Methoden bei der Schlepperbekämpfung verändert?

Der Zeitfaktor ist viel wichtiger geworden, wir agieren viel schneller. Denn es geht um die Sicherheit der Migranten. Tatsächlich ist es uns in vielen Fällen dank der engen Vernetzung gelungen, ähnliche Tragödien zu verhindern. Realistischerweise muss man aber zugeben, dass nicht alles zu verhindern ist.

Zehntausende Migranten wollen nach Westeuropa.

Aktuell leben in Griechenland 100'000 Migrantinnen und Migranten, die meisten von ihnen möchten nach Westeuropa. Weitere Tausende oder gar Zehntausende Migranten sind in Bosnien und Serbien, mit dem gleichen Ziel. Das ist ein blühendes Geschäft für Schlepperbanden.

Wer steckt hinter den Schlepperbanden?

In machen Fällen sind es selber Migranten, die Schleppungen organisieren und so zum grossen Geld kommen wollen. In anderen Fällen stecken vernetzte, mafiöse Strukturen hinter der Schlepperei. Sie haben in allen Ländern ihre Kontakte und sind gut organisiert. Die Bosse dieser Netzwerke stellen ihr durch die kriminelle Schlepperei ergaunertes Vermögen auch mal schamlos zur Schau.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

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