Vor ziemlich genau 500 Jahren erreichten die Schiffe der spanischen Eroberer die Küste Mexikos. Sie machten sich auf, das Reich der Azteken zu erobern, und das auf ziemlich brutale Art und Weise. Nun verlangt der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador eine Entschuldigung – von Spanien und der katholischen Kirche. Historiker Christian Büschges von der Universität Bern über die umstrittene Debatte im lateinamerikanischen Land.
SRF News: Kann eine Entschuldigung Mexiko bei der Aufarbeitung helfen?
Christian Büschges: Spanien hat dies sofort zurückgewiesen und gesagt, dass eine Aufarbeitung der Ereignisse nur in einem gegenseitigen Dialog stattfinden kann. Auf der anderen Seite gibt es in Spanien auch immer wieder Stimmen, die eine Eroberung Amerikas als Zivilisationsleistung darstellen. Gerade an nationalen Gedenktagen in Spanien und Amerika flammen deshalb immer wieder Konflikte zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Spanien und den lateinamerikanischen Ländern auf.
Wie beurteilen Sie die Aufarbeitung der Konquista in Spanien?
Hier hat sich seit den 80er-Jahren viel getan. Während meiner Studienzeit in Sevilla standen vor allem die Heldentaten, Zivilisierung und Christianisierung im Vordergrund. Mittlerweile hat sich das geändert. Es gibt eine international breit vernetzte kritische Diskussion.
Mexikanische Völker halfen den Konquisadoren bei den Eroberungen; beispielsweise beim heutigen Mexiko-Stadt.
An Universitäten und in der Wissenschaft hat man ein komplexes Bild der Konquista; es geht nicht mehr um Schuld, sondern um Versuche der Rekonstruktion. Man will wissen, welche Akteure wie gehandelt haben und versucht, ein möglichst objektives Bild dieser Zeit zu erhalten.
Die Spanier werden in diesem Zusammenhang häufig als machtgierig und brutal dargestellt. Stimmt diese Sichtweise?
Das hat es auf jeden Fall gegeben. Die Konquistadoren waren auf Beutezug und befanden sich in einem schwierigen und gefährlichen Unterfangen. Ein Grossteil der Eroberer wollte Reichtum und den sozialen Status durch die Eroberungszüge verbessern. In Mexiko selbst gab es aber auch kriegerische Auseinandersetzungen. Mexikanische Völker halfen den Konquistadoren ausserdem bei den Eroberungen; beispielsweise beim heutigen Mexiko-Stadt.
Als die Spanier in Mexiko ankamen, lebten im Reich der Azteken etwa 25 Millionen Menschen. 80 Jahre später waren es noch eine Million. Das spricht doch für eine verbrecherische Skrupellosigkeit?
Ja. Das ist auch der Grund, weshalb kurz nach der Konquista sehr negativ darüber berichtet wurde. Man muss differenzieren: Ein Grossteil der Millionen Toten, die die Eroberung letztendlich hervorgebracht hat, gehen nicht auf Kriegshandlungen, sondern auf Krankheiten oder Ausbeutungen zurück.
Einerseits sieht man sich als Gründer Mexikos, gleichzeitig beruft man sich aber auf das Erbe der Azteken.
Das ist alles andere als erfreulich. Aber die Eroberungszüge selbst haben daran einen relativ kleinen Anteil.
Sind die Mexikaner 500 Jahre später immer noch verletzt?
Das ist zwiespältig. In mexikanischen Schulbüchern liest man zweierlei: Einerseits sieht man sich als Gründer Mexikos, gleichzeitig beruft man sich aber auf das Erbe der Azteken. Die Schuldzuschreibung ist somit nicht eindeutig. Auch der mexikanische Staat tut sich mit einer Berücksichtigung der Nachkommen der indigenen Völker schwer. Der Aufstand der Chiapas 1994 hat dies sehr deutlich gezeigt. Indigene Völker in Mexiko leben auch heute noch unter schwierigen sozialen Bedingungen und sind Anfeindungen ausgesetzt.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.