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Abgeschottetes Land Nordkorea will die Pandemie schon besiegt haben

Nordkorea hat sämtliche Corona-Massnahmen aufgehoben. In einer von der staatlichen Nachrichtenagentur verbreiteten Rede erklärte Präsident Kim Jong-un die Pandemie im Land für beendet. ARD-Korrespondentin Kathrin Erdmann macht andere als medizinische Faktoren für die überraschende Nachricht aus dem abgeschottenen Land verantwortlich.

Kathrin Erdmann

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Die Journalistin Kathrin Erdmann ist ARD-Korrespondentin für Ostasien. Sie lebt in Tokio.

SRF News: Nordkorea erklärt die Pandemie für besiegt und hebt sämtliche Massnahmen auf. Was heisst das konkret?

Kathrin Erdmann: Es geht dabei vor allem um die Quarantänemassnahmen. Laut Angaben aus Pjöngjang gab es mobile Einsatzteams, die bei Fieber vorbeikamen und einen PCR- oder Antikörpertest machten. Je nachdem wurde dann eine Quarantäne verfügt. Wie genau diese aussah, weiss man allerdings nicht.

Kim Jong-un sprach von einem ‹medizinischen Wunder›.

Auch die Reisebeschränkungen innerhalb Nordkoreas dürften aufgehoben worden sein. Nordkorea habe das Coronavirus besiegt, hiess es. Kim Jong-un sprach von einem «medizinischen Wunder».

Wie glaubwürdig ist das?

Es war ein Sieg mit Ansage: Schon Ende Juli hatte das Regime in Pjöngjang behauptet, es gebe keine neuen «Fieber»-Fälle mehr, und schon lange zuvor war gemeldet worden, es gebe keine Todesfälle mehr. Doch das alles ist gelinde gesagt sehr zweifelhaft. Laut offiziellen Zahlen haben 20 Prozent der Bevölkerung das «Fieber» gehabt, waren also mit dem Coronavirus infiziert.

Es gibt erhebliche Zweifel an den Angaben aus Pjöngjang.

Die Sterberate soll dabei bei 0.002 Prozent gelegen haben – damit wäre sie allerdings geringer gewesen als in Neuseeland oder Japan, die beide am wenigsten Corona-Todesfälle aufweisen. Zweifelhaft ist ausserdem der zeitliche Höhepunkt bei den Todesfällen infolge des «Fiebers» in Nordkorea: Er wurde schon vor dem Höhepunkt der Pandemie festgestellt. Es gibt also erhebliche Zweifel an den Angaben.

Welche Motive stecken hinter der Strategie des nordkoreanischen Regimes?

Nordkorea wird offenbar einmal mehr von Überschwemmungen heimgesucht, welche einen Grossteil der Ernte vernichtet haben könnten. Ausserdem hat Nordkorea Moskau Arbeiter angeboten – es gibt also Zeichen dafür, dass Nordkorea unter starkem Druck stehen könnte. Wenn nun die Pandemie als beendet erklärt wird, kann das Land wieder etwas geöffnet werden, etwa indem Arbeiter nach Russland entsandt würden. So kämen wieder Devisen ins Land.

Erst vor drei Monaten wurde offiziell erstmals ein Covid-Fall gemeldet. Was ist über den Verlauf der Pandemie in Nordkorea bekannt?

Offenbar traf sich das Politbüro täglich zur Analysesitzung. Der Verlauf der Pandemie war je nach Region sehr unterschiedlich, am meisten Fälle gab es in den Grenzregionen. Trotz eines Lockdowns wurde landesweit weitergearbeitet, offenbar wollte man nicht den Eindruck erwecken, das ganze Land sei krank.

Die meisten Menschen starben an Falschmedikationen.

Laut einer Publikation zu den Todesursachen der «Fieber»-Fälle starben die meisten Menschen an Falschmedikationen – das Ganze nahm zwischenzeitlich auch groteske Formen an. Man riet den Kranken, mit Salzwasser zu gurgeln. Ausserdem wurden nordkoreanische Flugzeuge in China gesichtet. Sie könnten dort Impfstoff oder – was wahrscheinlicher ist – Testkits geholt haben.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News aktuell vom 11.8.2022, 08.45 Uhr ; 

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