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Abgeschottetes Land «Nordkoreas Führung wird wie ein Gott verehrt»

Totale Kontrolle und verordnete Freiwilligenarbeit. Der Journalist Stephan Scheuer schildert seine Reise-Eindrücke.

Der Journalist Stephan Scheuer vom deutschen «Handelsblatt» hat Nordkorea kürzlich besucht. Was seine Reisegruppe gesehen hat, war von der Propaganda-Abteilung definiert, jeder Schritt war kontrolliert. Auf dem Programm standen nur die erfolgreichen Seiten des abgeschotteten Landes.

Eindrücke aus einem totalüberwachten Land ohne persönliche Freiheit.

Stephan Scheuer

Journalist, «Handelsblatt»

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Stephan Scheuer war mehrere Jahre China-Korrespondent für die Deutsche Nachrichtenagentur DPA sowie das «Handelsblatt». Inzwischen ist er Leiter des Feature-Teams beim «Handelsblatt».

SRF News: Welchen Eindruck wollte Nordkorea Ihrer Besuchergruppe aus dem Ausland vermitteln?

Stephan Scheuer: Die Nordkoreaner mussten in der Vergangenheit sehr schwere Phasen mit Hungersnöten durchmachen. Deshalb war es ihnen jetzt wohl wichtig zu zeigen, dass diese Phasen der Entbehrungen vorbei seien und es dem Land trotz der internationalen Sanktionen gut gehe. So wurden uns nur die Errungenschaften des Landes präsentiert. Wir waren etwa in einem Tierpark, der gigantische Ausmasse hatte; oder in einem Spassbad, das ich in solchen Dimensionen noch nie gesehen hatte. Auch wurden uns Elite-Unis und Luxuswohnungen gezeigt.

Sogar im intimsten Moment des Privatlebens wacht der Führer die ganze Zeit über die Familie.

Bei ihrer Reise konnten Sie sich ihre Gesprächspartner nicht selber aussuchen. Sie trafen zum Beispiel ein Professoren-Ehepaar. Was erfährt man bei solchen Gesprächen über den nordkoreanischen Propaganda-Apparat?

Man erfährt, dass der Apparat sehr gut funktioniert. Das Verhältnis der Bevölkerung zur nordkoreanischen Führung ist in etwa so, wie in Religionen ein Gott verehrt wird. So wollte man uns mit dem Besuch bei dem Professorenpaar zeigen, wie eine der besten Wohnungen des Landes aussieht. Zugleich wurde dabei auch deutlich, dass alles auf die staatlichen Führungspersonen zugeschnitten ist. So hingen im Wohnzimmer Porträts des Staatsgründers Kim Il sung und der Kim-Familie – und auch im Schlafzimmer hingen gleiche Fotos über dem Bett. Sogar im intimsten Moment des Privatlebens wacht also der Führer die ganze Zeit über die Familie.

Hüttendorf aus der Ferne.
Legende: Im ländlichen Nordkorea können die Menschen nur von Luxuswohnungen träumen. Reuters

Spielt die Elite – zu denen diese Professoren gehören – das Spiel des Personenkults mit, um ein besseres Leben führen zu können – oder sind sie tatsächlich von der Unfehlbarkeit Kim Jong-uns überzeugt?

Es ist nahezu unmöglich, den Menschen in den Kopf zu schauen. Wir hatten ausschliesslich mit Menschen zu tun, die wussten, wer wir sind. Auch wussten sie, dass das Ziel darin bestehen muss, ein möglichst positives Bild von Nordkorea zu vermitteln. So hiess es von ihnen immer wieder, alles Positive sei «der weisen Führung des grossen Führers und weisen Marschalls Kim Jong-un» zu verdanken. Alles Gute, das in Nordkorea passiert, geht demnach ausschliesslich auf ihn zurück.

Teil der Propaganda sind auch Massenprogramme und Zwangsarbeit für den Machthaber. Haben Sie solches auf Ihrer Reise erlebt?

Wir waren einmal im Bus unterwegs von einem Aussenbezirk Pjöngjangs ins Stadtzentrum. An der Strassenseite befand sich ein Rasenstreifen, der durch die trockene Witterung teilweise verdorrt war. Entlang der Strasse waren also tausende ältere Frauen – und ich meine tatsächlich tausende – damit beschäftigt, mit einfachstem Werkzeug Grasnarben zu versetzen, um die braunen Stellen wieder zu begrünen. Die Frauen arbeiteten mit Zahnstochern und anderen einfachsten Gegenständen daran, grüne Grasteile aus- und im braunen Bereich wieder einzupflanzen.

Entlang der Strasse waren über Kilometer tausende älter Frauen dabei, mit Zahnstochern Grasnarben zu versetzen.

Das Ganze zog sich über mehrere Kilometer hinweg in die Innenstadt hinein. Es war einer der eindrücklichsten Momente unserer Nordkorea-Reise. Unser Aufpasser meinte, das sei doch toll, die Rentnerinnen hätten ja sonst nichts zu tun, jetzt könnten sie mal etwas für die Allgemeinheit machen. Solche «freiwilligen» Massenprogramme gibt es die ganze Zeit – oft auch am Wochenende.

Briefmarke mit Bild, auf dem sich Kim und Xi die Hand geben.
Legende: Auf den grossen Empfang in Peking ist Kim derart stolz, dass er eine Briefmarke drucken liess. Reuters

Das heisst also, dass die Nordkoreaner nicht einmal im Alter frei über ihre Zeit verfügen können und auch dann noch Dienst für den Staat leisten müssen?

Ja. Und auch wenn all diese Programme «freiwillig» genannt werden, gibt es viele Druckmöglichkeiten, damit die Bevölkerung tatsächlich mitmacht. So hing etwa im Hauseingang, in dem das Professorenpaar lebte, eine Strichliste, auf der verzeichnet war, wie oft sich welche Familie an welcher «freiwilligen» Aktion beteiligt hatte. Wenn eine Familie an einer Aktion nicht mitmachte, war das sofort für alle sichtbar. Der soziale Druck ist also riesig. Was «freiwillig» genannt wird, ist es überhaupt nicht. Das sind vielmehr verpflichtende Massenprogramme, denen man sich als Nordkoreaner anschliessen muss.

Der Druck, bei ‹freiwilligen› Massenprogrammen mitzumachen, ist immens.

Sie haben auch eine Handtaschenfabrik besucht. Wie war der nordkoreanische Geist dort präsent?

Im vergangenen Jahr wurden die strengsten UNO-Sanktionen gegen Nordkorea verhängt, die es jemals gab. Viele Rohstoffe kommen jetzt gar nicht mehr ins Land. Im Gespräch behauptete der Firmenchef trotzdem, die Sanktionen hätten überhaupt keine Auswirkungen für sein Unternehmen. Er führte uns in einen Bereich der Fabrik, den er speziell für die Angestellten mit Propagandaplakaten ausstaffiert hatte. Eines zeigte etwa Atomraketen, welche die USA gerade in Schutt und Asche legten. Die Botschaft dahinter: Wer ein guter und loyaler Arbeiter ist, arbeitet immer weiter, er lässt sich nicht von Sanktionen abschrecken.

Tausende Menschen auf einem Platz.
Legende: Studenten und junge Menschen feiern das sechsjährige Jubiläum von Kim Jong-uns Machtantritt. Reuters

Auch der Besuch einer Elite-Universität stand auf dem Programm. Hatten Sie den Eindruck, dass die Studenten über etwas mehr Informationen verfügen als das normale Volk?

Vielleicht etwas mehr, aber vermutlich nicht besonders viel. Wir wurden dort in den Internet-Raum geführt, wo viele Computer standen. Man sagte uns, man könne hier auch auf freie Informationen zugreifen. Als wir nachfragten, wie das funktioniere und ob man uns das zeigen könne, hiess es, das gehe nicht so einfach. Wir sprachen auch mit Studierenden und fragten sie, ob sie wüssten, was Google sei. Doch da kamen bloss ausweichende Antworten. Obwohl an dieser Uni die Elite des Landes ausgebildet wird, haben die meisten von ihnen keine Ahnung davon, wie das Informationszeitalter im Rest der Welt funktioniert. Einen direkten Zugriff auf Informationen aus dem Ausland hat in Nordkorea fast niemand.

Nordkorea bleibt ein autoritärer Staat, in dem sich niemand frei äussern oder Kritik an der Regierung üben kann.

Reisegruppen werden ins Land gelassen, Kim Jong-un besuchte Peking und bald findet ein historisches Treffen zwischen Nord- und Südkorea statt. Sind das alles Zeichen für eine sanfte Öffnung, oder bleibt das Land abgeschottet wie eh und je?

Es ist beides richtig. Auf der einen Seite möchte sich Machthaber Kim international annähern. Mit seinem Atomprogramm hat er sein Überleben sichergestellt, mit Genugtuung nahm er zur Kenntnis, mit welch grossem Pomp er in Peking empfangen wurde. Auf der anderen Seite bleibt Nordkorea ein autoritärer Staat, in dem sich niemand frei äussern oder Kritik an der Regierung üben kann. Fast alles wird vom Staat kontrolliert, wirtschaftliche Entwicklung wird unterdrückt. Innenpolitisch ist bislang rein gar nichts von einer Öffnung festzustellen.

Das Gespräch führte Marlen Oehler.

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