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Abrüstungsvertrag vor dem Aus? «Damit würde die nukleare Bedrohung in Europa wieder Realität»

US-Präsident Donald Trump will das Abkommen mit Russland zum Verbot nuklearer Mittelstreckenwaffen kündigen. Macht er damit tatsächlich ernst, geriete das System internationaler Rüstungskontrolle weiter in Verruf, sagt Sicherheitsexperte Roland Popp.

Roland Popp

Experte für Sicherheitspolitik

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Roland Popp ist seit 2020 Forschungsmitarbeiter an der Militärakademie an der ETH Zürich. Von 2008 bis 2017 war er Senior Researcher und Leiter einer Forschungsgruppe über Nuklearwaffenpolitik am Center for Security Studies an der ETH Zürich. 

SRF News: Was hat der INF-Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland mit Europa zu tun?

Roland Popp: Die Vereinbarung stammt noch aus der Zeit des Kalten Krieges. In den 1980ern installierten die Sowjets Mittelstreckenwaffen und bedrohten damit vor allem europäische Städte, was damals in den Augen vieler eine nukleare Eskalation wahrscheinlicher machte. Das führte zu verstärkten Spannungen und zu weiterer Aufrüstung auf beiden Seiten. Der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) von 1987 war dann die perfekte Lösung, weil all diese Raketen abgeschafft und verschrottet wurden.

Und sind die nuklearen Mittelstreckenwaffen tatsächlich verschwunden?

Nun, der INF-Vertrag verbietet nur landgestützte Raketen und Cruise Missiles (Marschflugkörper) mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern . Viele Systeme mit grösseren Reichweiten könnten im Grunde umgewandelt werden und so nähere Ziele anfliegen. Ausserdem unterhalten die USA wie Russland Marschflugkörper mit mittleren Reichweiten, die see- oder luftgestützt sind. Dazu kommt, dass sich beide Seiten seit Jahren gegenseitig des Vertragsbruchs beschuldigen. Die Amerikaner wohl durchaus berechtigt. Die russischen Vorwürfe halte ich für wenig überzeugend. Allerdings ist das russische Argument, der Aufbau einer Raketenabwehr in Osteuropa unterlaufe den Grundgedanken der Rüstungskontrolle, durchaus stichhaltig.

Trump droht also einen Vertrag zu kündigen, der militärisch kaum noch von Bedeutung ist?

Die Mittelstreckenwaffen sind nicht der Kern des Konflikts.

Bestimmte Kräfte in der Trump-Administration lehnen Rüstungskontrollen ganz grundsätzlich ab. Das ist die eigentliche Gefahr.

Insbesondere Sicherheitsberater John Bolton glaubt, dass man sich mit Abrüstungsverträgen unnötigerweise die Hände bindet. Derzeit gibt es weltweit eine Tendenz hin zu einer Rivalität zwischen nuklear bewaffneten Grossmächten. Dass die Rüstungskontrolle kaum noch Unterstützung findet, ist die eigentliche grosse Gefahr. Wenn sie nicht mehr funktioniert und die Grossmächte ihre Arsenale weiter modernisieren und ausbauen, werden sich immer mehr Staaten überlegen, ob sie sich nicht selbst Atomwaffen anschaffen sollten, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten.

John Bolton und Sergei Lavrov gehen über einen Teppich
Legende: Jetzt wird verhandelt: John Bolton, der US-amerikanische Nationale Sicherheitsberater, und der russische Aussenminister Sergej Lawrow auf dem Weg zu einem Gespräch in Moskau. Keystone

Europa befreite der INF-Vertrag von direkter nuklearer Bedrohung. Was würde die Aufkündigung für die europäische Sicherheit bedeuten?

Es wäre die Beseitigung eines Kerns der europäischen Sicherheit. Und es würde sicherlich zu neuen Misstönen in der Nato führen. Angenommen, die Russen würden in der Folge tatsächlich derartige Systeme in grösserem Umfang in Europa stationieren und die NATO müsste das dann entsprechend kontern: Welches NATO-Land würde dann amerikanische Mittelstreckenwaffen bei sich dulden? – Diese Frage birgt enorme politische Sprengkraft.

Ist es denn tatsächlich denkbar, dass Russland als Reaktion Mittelstreckenwaffen in Reichweite zu Europa stationieren würde?

Ich glaube, die Gefahr ist vorerst eher klein. Russland würde die europäischen Staaten damit – ähnlich wie in den 1980er Jahren in die Arme der USA treiben. Das läuft den breiteren strategischen Interessen Moskaus entgegen.

Die Russen würden sich wahrscheinlich darum bemühen, als der vernünftigere Partner Europas dazustehen.

Und versuchen, die Aufkündigung als Eigentor der USA auszuschlachten. Die eigentliche Gefahr ist, dass die kontinentale Sicherheit zu wackeln beginnt. Diese basiert eben nicht nur auf der NATO-Partnerschaft, sondern auch auf direkten Abrüstungsvereinbarungen mit Russland. Wenn der INF-Vertrag stirbt, dann ist man bald wieder auf einem Stand wie vor der Entspannung in den 1970er Jahren.

Damit würde die nukleare Bedrohung wieder europäische Realität.

Sollte der INF-Vertrag wirklich verschwinden, was bedeutet das insgesamt für die Sicherheit in unserer Welt?

Besonders fatal wäre aus meiner Sicht das Signal, dass nukleare Rüstungskontrolle in der neuen Weltordnung keine Bedeutung mehr hat. Gerade für uns Europäer waren die Vereinbarungen über Abrüstung ein entscheidender Schritt hin zu mehr Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent. Die Idee, dass nukleare Abschreckung allein ausreicht, um zukünftige Kriege zu verhindern und dass man auf Gespräche und Kooperation mit den Gegnern und vermeintlichen Feinden verzichten kann, ist irregeleitet. Wir Europäer sollten die Initiative ergreifen und neue Ideen für die Rüstungskontrolle entwickeln.

Das Gespräch führte Mirjam Fuchs.

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