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Abwahl von Volker Kauder Angela Merkel ist ganz massiv geschwächt

Es war ein Erdbeben ohne Ansage. Kurz vor 17 Uhr hat die Fraktion von CDU und CSU den bisherigen Fraktionschef Volker Kauder völlig überraschend abgewählt. Was das bedeutet, ist noch nicht absehbar, aber Angela Merkel ist ganz massiv geschwächt.

Die Wahl des Unions-Fraktionsvorsitzenden ist nicht irgendeine Wahl. Denn die Macht von Angela Merkel basiert auf der Mehrheit ihrer Koalition im Parlament. Und ihre Hausmacht basiert auf ihrer Fraktion. Wenn eine Kanzlerin in Deutschland nicht mehr die Mehrheit im Parlament hat, hat sie ihre Macht verloren.

Völlige Überraschung

Das ist nicht passiert. Aber: 13 Jahre lang war Volker Kauder Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion gewesen. Gleich lang wie Angela Merkel Kanzlerin ist. Angela Merkel und auch die CSU-Führung im Bundestag, ja Merkels Intimfeind CSU-Innenminister Horst Seehofer haben im Vorfeld für Volker Kauder als Fraktionschef geworben. Kauder war Merkels Vertrauter und ihr Statthalter in der Fraktion. Mit dem heutigen Resultat hatte niemand gerechnet. Höchstens mit einem Achtungserfolg des Herausforderers Ralph Brinkhaus.

2013 hatte Volker Kauder noch 97 Prozent der Stimmen bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden erhalten, 2017 nach der Bundestagswahl nur noch 77 Prozent, obwohl er keinen Gegenkandidaten hatte. Nach zwei Regierungskrisen innert weniger Monate, eine vor der Sommerpause und eine in den letzten Tagen, hat Angela Merkel nun erneut einen politischen Schwächeanfall erlitten, den man sich vor kurzem nicht hatte vorstellen können.

Doch die Zeichen standen an der Wand. Schon im Sommer, als der heftige Streit zwischen Merkel und Seehofer um Grenzkontrollen völlig zu eskalieren drohte, hatten die Parlamentarier gedroht, selbst eine Lösung zu finden, falls sich Seehofer und Merkel nicht zusammenrauften.

Sind die Tage von Merkel gezählt?

Der neue Fraktionschef Ralf Brinkhaus wollte seine Kandidatur nicht als Kampfansage an Merkel verstanden wissen, sondern hatte angekündigt, er wolle neuen Schwung in die Fraktion bringen. Das hat er definitiv. Die Fraktion beginnt sich von Merkel zu emanzipieren, ein ganz klares Zeichen, dass die Parlamentarier nicht mehr daran glauben, dass Merkel eine Garantin für zukünftige Wahlerfolge ist, und dass die Tage der Kanzlerin gezählt sind.

Nicht heute, nicht morgen, aber dass diese Regierung die ganze Legislatur hält, kann man sich nur schwer vorstellen. Gestern im ZDF fragte der Nachrichtenmoderator einen Politologen, was die Koalition tun müsse, um sich zu stabilisieren. Die Antwort lautete lakonisch: Kerzen anzünden. Heute ist eine weitere Kerze fällig.

Peter Voegeli

Italien-Korrespondent

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Peter Voegeli ist seit Januar 2022 Italien-Korrespondent von Radio SRF. Von Rom aus hat er auch den Vatikan, Griechenland und Malta im Blick. Zwischen 2005 und 2011 berichtete er als USA-Korrespondent aus Washington DC. Danach war er während dreieinhalb Jahren Moderator von «Echo der Zeit» und von 2015 bis 2021 Deutschland-Korrespondent in Berlin. Von 1995 bis 2005 arbeitete der Historiker als Korrespondent für Schweizer Printmedien in Bonn und Berlin.

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