Ägypten leidet unter der Corona-Pandemie. Das Tourismus-Land ist wirtschaftlich stark angeschlagen, weil in den letzten Wochen und Monaten die Gäste aus dem Ausland weggeblieben sind, und sie auch jetzt bloss vereinzelt anreisen.
Nun hat das Land auch aussenpolitisch einigen Ärger am Hals. Da ist der Streit mit Äthiopien um ein Staudamm-Projekt am Nil. Vor allem aber ist da der Krieg im Nachbarland Libyen, der immer näher an die ägyptische Grenze rückt. Diese Woche hat das Parlament in Kairo einstimmig einen ägyptischen Militäreinsatz in Libyen genehmigt. Karim El-Gawhary über die Intentionen des ägyptischen Militäreinsatzes.
SRF News: Warum die Militärpläne in Ägypten?
Karim El-Gawhary: Ägypten sieht, dass nur jene auswärtigen Mächte, die in Libyen militärisch selbst präsent sind – wie z.B. die Türkei auf Seiten der Miliz und der Regierung in Tripolis oder eben Russland aufseiten General Haftars im Osten des Landes – auch später am Verhandlungstisch etwas mitzureden haben. Aber sie müssen eben militärisch präsent sein.
Wie würde so ein Einsatz aussehen , wenn er erfolgen würde?
Man geht davon aus, dass es zu Beginn kein riesiger Militäreinsatz sein wird, sondern eher ein Einsatz der ägyptischen Luftwaffe oder der ägyptischen Marine.
Das Kalkül ist, am Ende selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen, wenn es um die Zukunft Libyens geht.
Möglich ist auch, dass ägyptische Truppen über die Grenze gehen und sich 50 Kilometer innerhalb libyschen Bodens bewegen. Das wäre aber ganz weit weg vom jetzigen Kriegsgebiet.
Der Krieg in Libyen dauert seit Jahren , eigentlich seit dem Ende des Gaddafi-Regimes. Warum kommen die Kriegspläne Ä gyptens gerade jetzt?
Das Ganze ist für die Ägypter eine Frage der nationalen Sicherheit. Libyen ist ihr unmittelbares Nachbarland und sie machen sich Sorgen. Was geschieht, wenn dort weiter Chaos ausbricht? Wenn z.B. dort Muslimbrüder an der Macht sitzen, sozusagen die grossen Rivalen des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. All das macht Ägypten Sorgen.
Das Kalkül ist, am Ende selbst mit am Verhandlungstisch zu sitzen, wenn es um die Zukunft Libyens geht. Jeder weiss, dass sich dieser Konflikt am Ende nicht militärisch lösen wird. Natürlich ist es für Ägypten auch ein Spiel mit dem Feuer. Das Land könnte mit seiner Armee in einen Abnutzungskrieg in Libyen verwickelt werden.
Sie haben es erwähnt : Die Türkei ist involviert , Russland und andere Mächte ebenfalls. Könnte die Lage nun eskalieren?
Ja, natürlich. Es gibt in Libyen sehr viele Köche, welche von aussen sozusagen mitmischen. Wir haben auf der einen Seite die Türkei, welche Tripolis unterstützt.
Auf der anderen Seite sind Ägypten, Russland, aber auch die Arabischen Emirate, die auf Seiten Generals Haftars mitmischen und welche immer wieder neues Material, neue Waffen und neue Söldner in diesen Konflikt schicken und ihn eskalieren lassen.
Libyen ist eine weitere grosse Baustelle in der ägyptischen Aussenpolitik. Wie kommt das bei den Ä gypterinnen und Ä gyptern an?
Die haben ihre eigenen Probleme. Aktuell dominiert das Problem mit Covid-19 und den wirtschaftlichen Auswirkungen. Wir dürfen nicht vergessen, dass nach den letzten offiziellen Statistiken ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1.30 Euro am Tag lebt. Staatliche Medien versuchen nun den Einsatz in Libyen zu pushen. Aber in Wirklichkeit ist es nicht eines der Hauptprobleme der Menschen in Ägypten. Das Hauptproblem sind wirtschaftliche und soziale Fragen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.