Die amerikanische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts gilt allgemein als Geburtsakt für die heutigen Vereinigten Staaten von Amerika. In jener Zeit erhielten die Bürger auch mehr politische Rechte.
Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die Revolution aber auch als Protest gegen die damalige Globalisierung, wie der renommierte Wirtschaftshistoriker Harold James sagt. Die Handelsbeziehungen zwischen den damaligen Oststaaten mit dem Mutterland Grossbritannien, Frankreich und den Niederlanden seien sehr eng gewesen.
Bei dem Zusammenbruch wirken die Gegenreaktionen im Handel mit der Migration zusammen.
Aussenhandel und Migration seien schon damals ein Zwillingspaar gewesen. Menschen folgten seit Menschengedenken den Handelsströmen. Immer aber hätten beide – Handel und Migration – mit der Zeit Widerstand hervorgerufen. Das gefährliche an diesem Widerstand: Er sei allen grossen Kriegen der jüngeren Vergangenheit vorausgegangen.
«Es bräuchte eine neue, ordnende Kraft in der Welt»
«Das kann man vor dem Ersten Weltkrieg sehen: Es hatte protektionistische Bestrebungen gegeben, auch Bestrebungen, die Migration einzudämmen – lange bevor das in der Politik massiv umgesetzt wurde.» Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hätten in Grossbritannien die vielen eingewanderten Serviceangestellten aus Deutschland als Spione gegolten.
Die Tonalität ihnen gegenüber erinnere ihn an die aktuelle Diskussion über islamische Einwanderer, die nicht nur in populistischen Parteien, sondern bis weit in die Mitte und darüber hinaus allesamt als potentielle Terroristen verdächtigt würden, sagt James.
Vor jedem Krieg eine Finanzkrise
Wenn Harold James die Situation vor den Weltkriegen mit der heutigen Lage vergleicht, entdeckt er eine weitere Parallele: die Finanzkrisen.
Sieben Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Jahr 1907, gab es eine Finanzkrise. Eine weitere ereignete sich 1931, acht Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Und vor rund acht Jahren hat die Welt erneut eine Krise des Finanzsystems erlebt.
In der Finanzbranche ist die Globalisierung am instabilsten. Und die Folgen eines Zusammenbruchs wirken sich dort sehr schnell in vielen anderen Bereichen aus.
Globalisierung, Freihandel und Einwanderung sind seither noch umstrittener. Damals wie heute werde plötzlich die gesamte Ordnung in Frage gestellt, sagt James. «Damals gab es Zweifel an der Marktwirtschaft, an der Demokratie und der internationalen Ordnung. Im Grunde sehen wir genau dieselbe Mischung jetzt.»
Zu den Zweiflern gehörten die Verlierer der Globalisierung und – interessanterweise jene, die dank der Globalisierung sehr viel gewonnen hätten, jetzt aber um ihren immensen Reichtum fürchteten.
James erklärt sich so, weshalb beispielsweise schwerreiche Männer wie Silvio Berlusconi in Italien, Andrej Babis in Tschechien oder Donald Trump in den USA in die Politik eingestiegen sind und ihre Länder vor der Globalisierung schützen wollen.
Was also ist zu tun?
Würde es helfen, wenn die breite Masse mehr am Globalisierungsgewinn teilhaben könnte? Mit Blick auf die Geschichte bleibt Harold James skeptisch. Er verweist auf das kürzlich erschienene Buch von Walter Scheidl.
Aus seinen Forschungen über die Geschichte der Menschheit kommt der österreichische Historiker zu einer provokativen These: «Scheidl sagt, dass es nur in Epochen des Zusammenbruchs und Krieges – also nur mit Gewalt – zu einer besseren Einkommensverteilung kommt. Das ist eine noch pessimistischere Sicht als ich sie habe.»
Harold James lässt offen, ob er denkt, dass auch wir in ein Zeitalter voller Rassismus und Gewalt zusteuern wie während der letzten grossen Kriege. Die harschen Töne rund um das nordkoreanische Atomprogramm, die Annexion der Krim, der versteckte Krieg in der Ukraine und das immer aggressivere Auftreten Chinas, stimmen ihn nicht optimistisch.
Es braucht eine neue, ordnende Kraft in der Welt.
Es brauche eine ordnende Kraft, die solche Entwicklungen gar nicht erst zuliesse, meint der Historiker. Die USA wollten diese Rolle aber nicht mehr übernehmen, die EU sei zu schwach und China und Russland seien zu unbeliebt.
Bleibt als erster Schritt nur eines: «Man hat noch nicht genug das Furchtbare an Gewalt und Entglobalisierung gesehen. Man sollte in diesen Belangen mehr aus der Geschichte lernen können.»