Die Fabrikhalle ist so gross wie ein Fussballfeld. Im Innern gehen an sechs endlos langen Tischen je zwei Äthiopierinnen von T-Shirt zu T-Shirt, dicht nebeneinander. Sie bedrucken Stoffe in mehreren Arbeitsschritten: Zuerst die Hasenohren, dann der Kopf und schliesslich das Gesicht – schon lächelt ein rosaroter Hase von den T-Shirts.
Die Textilfirma BeConnected befindet sich in der Industriezone Dukem, unmittelbar vor der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. In der Halle bedrucken Frauen Kleider rund um die Uhr. Von Hand.
Das manuelle Bedrucken koste immer noch weniger als mit der Maschine, erklärt Geert van den Hoek bei einem Rundgang durch die Fabrik. Er ist zuständig für das Qualitätsmanagement und ergänzt: «Natürlich ist es nur billiger, wenn das Tempo stimmt. In Bangladesch wird diese Arbeit doppelt so schnell erledigt.»
Textilindustrie in Äthiopien
Schuften für einen Hungerlohn
Die Textilindustrie in Äthiopien steckt noch in den Kinderschuhen. Sie exportiert Kleider im Wert von rund 100 Millionen US-Dollar. Das ist ein Klacks verglichen mit dem Textilschwergewicht China, welches im letzten Jahr rund 270 Milliarden mit Kleidern eingenommen hat.
Die Arbeit ist gut, der Lohn nicht.
In China verdient ein Textilarbeiter mindestens 300 Dollar pro Monat. In Äthiopien liegt der Einstiegslohn bei 25 Dollar oder tiefer. Diese Schere könnte sich noch weiter öffnen, so Qualitätsmanager van den Hoek: «Die Löhne in Asien werden wohl weiter steigen. Dann sind afrikanische Länder wie Äthiopien noch die letzten Standorte, wo der Lohn ein Wettbewerbsvorteil ist.»
Äthiopien eifert China nach
Auf diesen Wettbewerbsvorteil hofft auch der äthiopische Staat. Er braucht Arbeitsplätze für Millionen von jungen Äthiopierinnen und Äthiopiern. Die Regierung hatte deshalb die Textilindustrie zum Schlüsselsektor erkoren: die Lokomotive, welche Äthiopien weg von der Landwirtschaft ziehen soll. Heute sind drei Viertel der Bevölkerung im Agrarsektor tätig.
Pünktlichkeit und Hygienestandards sind für die Arbeitenden oft nicht selbstverständlich.
Der Wandel erfolgt nach chinesischem Vorbild. So ist die «Eastern Industry Zone», in welcher sich die Firma BeConnected befindet, finanziert, gebaut und geführt von China. Die Firmen in der Industriezone sind fast ausschliesslich chinesisch. Äthiopien will so von China lernen.
Kein einfacher Wandel
Doch Bauern zu Fabrikarbeitern zu machen, sei nicht einfach, meint Geert van den Hoek: «Es mangelt an Arbeitshaltung und Geschwindigkeit. Die Leute kommen nicht zur Arbeit, wenn sie etwas anderes zu tun haben.» Für die meisten sei es die erste Anstellung ihres Lebens.
«Eine Fabrik ist eine andere Umgebung als die Landwirtschaft. Pünktlichkeit und Hygienestandards sind für die Arbeitenden oft nicht selbstverständlich.» Die Angestellten müssten in vielen Bereichen geschult werden. Vor allem die Produktivität müsse steigen, sagt Geert van den Hoek, sie sei halb so hoch wie in Asien.
Kein hektischer Fabrikbetrieb
Das Lachen der Fabrikarbeiterinnen, die sich um die Drucktische versammeln, ist wohltuend im monotonen Fabriklärm. Nach einem hektischen Fabrikbetrieb sieht es nicht aus, die Frauen schwatzen und stehen herum. Sie sind alle Mitte zwanzig und zum ersten Mal angestellt.
«Die Arbeit ist gut, der Lohn nicht», sagt Warknesh und ihre Kolleginnen nicken. Etwas mehr als 1000 Birr verdient sie als Einsteigerin, rund 40 Franken pro Monat. «Ich möchte aber 3000 Birr», sagt die junge Frau.
Proteste nützen nichts
Die tiefen Löhne im neuen Industriezweig haben mehrfach zu Protesten und Streiks geführt. Die Gewerkschaften fordern schon lange einen Mindestlohn. Vergeblich. Dass die Einstiegslöhne in Äthiopien für das ungeschulte Personal tief – oft gar zu tief zum Überleben – sind, weiss Qualitätsmanager van den Hoek.
Die internationalen Grosshändler diktieren die Preise. Und auch wir müssen etwas verdienen.
Doch seine Firma, welche Grosshändler wie H&M oder Lidl beliefert, müsse sich nach deren Preise richten. «Mit unseren Drucken sind wir das letzte Glied in der Lieferkette. Die internationalen Grosshändler diktieren die Preise. Wir versuchen, unseren Arbeiterinnen einen möglichst hohen Lohn zu bezahlen. Aber wir müssen auch etwas dabei verdienen.» Sonst gibt es für die internationalen Textilfirmen keinen Grund, in Äthiopien zu sein.