Im Dauer-Krisenland Afghanistan gibt es auch Lichtblicke. Die Wirtschaft, die nach der Machtübernahme durch die radikal-islamischen Taliban vor zweieinhalb Jahren fast völlig kollabiert war, hat sich der Weltbank zufolge auf niedrigem Niveau stabilisiert. Und die Ernte im letzten Herbst sei gut gewesen – zum ersten Mal nach fünf Jahren Trockenheit, sagt Philippe Kropf, der Sprecher des Welternährungsprogramms der UNO in Kabul. «Auf dem Papier sieht Afghanistan besser aus, als es viele erwartet hätten.»
Das Problem sei aber, dass lange nicht alle Leute davon profitierten. Noch immer seien knapp 16 Millionen Menschen – also ein Drittel der Bevölkerung – hungrig und auf Nahrungsmittelhilfe oder Geld zum Kauf von Essen angewiesen, sagt Kropf.
Mehr Verdachtsfälle von Unterernährung
Doch nicht einmal die Hälfte der Hungrigen erhalte Hilfe. Der Grund: Internationale Geber schickten massiv weniger Geld. «Wir mussten wegen Geldmangel 10 Millionen Menschen von der Lebensmittelhilfe ausschliessen.» In den Distrikten, in denen die Hilfe eingestellt wurde, seien bis zu doppelt so viele Kinder ins Spital eingeliefert worden mit Verdacht auf Unterernährung, erklärt der UNO-Sprecher.
Seit dem Herbst habe sich die Lage zwar etwas entspannt, sagt Kropf, auch wegen der guten Ernte. Aber die Entspannung dürfte vorübergehend sein. Allein für die nächsten sechs Monate fehlten der UNO-Organisation in Afghanistan noch 760 Millionen Dollar.
Flüsse führen zu wenig Wasser
Dass der Geldbedarf deutlich grösser ist als die erhaltenen Spenden, bestätigt auch Arshad Malik, Länderdirektor der internationalen Hilfsorganisation Save the children. Im letzten Jahr habe die Organisation nicht einmal die Hälfte des benötigten Geldes erhalten. Kaum die Hälfte der hungrigen Kinder habe versorgt werden können.
Und schon jetzt sei an den Bergspitzen Afghanistans absehbar, dass sich die humanitäre Lage wieder verschlechtern dürfte. «In Afghanistan gab es viel weniger Niederschläge im Vergleich zu den letzten paar Jahren», sagt Malik. Flüsse führten zu wenig Wasser. Die Folge dürfte erneute Trockenheit sein und damit schlechte Ernten und zu wenig Gras für die Tiere der Nomaden.
In einem Land, das schon jetzt von Hunger und Armut geplagt sei, werde der Klimawandel den Hunger noch verstärken, befürchtet Malik. Darum sei jetzt der schlechteste Zeitpunkt für Geldgeber, auszusteigen.
Internationale Gelder rückläufig
Aber die Anzeichen verdichteten sich, dass die internationale Hilfe für Afghanistan auch in diesem Jahr weiter reduziert wird. Die Hilfszusagen liegen gemäss UNO nach jetzigem Stand bei 200 Millionen Dollar – der tiefste Stand seit Jahren.
Vor allem grosse europäische Geldgeber täten sich zunehmend schwer damit, das von den Taliban regierte Land zu unterstützen, sagt Graeme Smith, Afghanistan-Kenner der Denkfabrik Crisis Group. Selbst, wenn in den nächsten Monaten mehr Hilfsgelder gesprochen werden sollten, sei der Trend eindeutig rückläufig. «Die internationale Hilfe trocknet aus. Die Zahl der Menschen, die humanitäre Hilfe erhalten, wird sinken», sagt er. Den Preis dafür würden nicht die Taliban zahlen, sondern die schwächsten der Gesellschaft: die Frauen und Mädchen.