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Frauen in Afghanistan «Alle unsere Träume sind zerbrochen»

Im August 2021 hat der Taliban die afghanische Regierung übernommen. Seitdem haben Frauen und Mädchen kaum noch Rechte.

Safia war in der elften Klasse, als die Taliban vor eineinhalb Jahren die Schulbildung für Mädchen in der Sekundarstufe verboten. «Es fühlt sich schrecklich an», sagt der Teenager. «Alle unsere Träume sind zerbrochen.» Statt Mathematik und Geografie zu büffeln, muss Safia nun Teppiche knüpfen.

Drei Mädchen in Kopftuch sitzen nebeneinander an einem Webstuhl. Mädchen in der Mitte blickt in die Kamera.
Legende: Knüpfen statt Lernen: Wie Millionen anderer Afghaninnen darf Safia nicht mehr in die Schule gehen. Zusammen mit ihren Schwestern knüpft sie jetzt zuhause Teppiche, um die Familie zu ernähren. Aber sie träumt noch immer davon, Ökonomin zu werden. SRF/Maren Peters

Sie gehört zum Stamm der Hazara. Das ist eine unterdrückte ethnische Minderheit in Afghanistan. Zusammen mit ihren Schwestern ist Safia zur Hauptverdienerin der Familie geworden. Der Vater hat seine Arbeit nach der Machtübernahme der Taliban verloren – wie Millionen anderer Menschen.

Auch an diesem Tag sitzen die Schwestern schon seit Stunden nebeneinander auf einer Holzbank ihrer Wohnhöhle und knüpfen mit flinken Fingern Teppichknoten. Im zentral-afghanischen Hochland, wo sie wohnen, sind Hunderte solcher Höhlen in die Sandsteinfelsen gehauen. Sie sind eng, dunkel und werden von armen Familien bewohnt.

An der Wand hängt ein grosser Teppichrahmen, an der Decke Bündel grauer Wolle. Die Schwestern müssen den Rahmen so schnell wie möglich mit Knoten füllen – was Wochen dauern kann. Erst, wenn der Teppich fertig ist, gibt es wieder Geld.

Taliban in Afghanistan

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Am 15. August 2021 eroberten die Taliban die Herrschaft in Afghanistan zurück, nach 20-jähriger Besetzung des Landes durch eine US-geführte westliche Koalition.

Schon einmal, von 1996 bis 2001 hatte die islamisch-fundamentalistische Gruppe das Land regiert. Auch damals wurden die Rechte von Minderheiten stark eingeschränkt und Frauen und Mädchen nach Hause verbannt.

Die Politik wiederholt sich jetzt. Wegen gravierender Menschenrechtsverstösse ist das «Islamische Emirat Afghanistan» bis heute von keiner Regierung anerkannt. Zudem wurden sieben Milliarden Dollar Reserven der Zentralbank eingefroren und der grösste Teil der internationalen Hilfsgelder sistiert. Weil die Wirtschaft Afghanistans im Wesentlichen von Hilfsgeldern abhängig ist, hat sich die Wirtschaftskrise verschärft – was auch zu einer humanitären Krise geführt hat. Mehr als 90 Prozent der Afghaninnen und Afghanen haben nicht genug zu essen.

«Seit mehr als 500 Tagen bin ich nicht mehr in die Schule gegangen», sagt Safia. Dabei hat sie so viel vor mit ihrem Leben. Ökonomin wolle sie werden, erzählt sie. Und als Regierungsangestellte die darbende afghanische Wirtschaft wieder auf die Beine bringen.«So viele Leute sind arbeitslos. Sie sollten wieder Arbeit bekommen und auf den eigenen Füssen stehen.»

Doch die grosse Vision muss warten. Gerade hat das neue Schuljahr in Afghanistan begonnen – ohne Mädchen. Safia dreht sich zurück zur Wand. Sie muss das Geld für das nächste Brot verdienen.

Hochschulverbot für Frauen

Husna erinnert sich noch genau an den Tag, an dem ihre Zukunft in Scherben zerbrach. Es war Yalda, der Tag der Wintersonnenwende, Ende Dezember letzten Jahres. Die 20-Jährige war mitten im Abschlussexamen ihres Medizinstudiums. «Ich sah die Mitteilung der Universität im Whatsapp-Chat, dass wir die Prüfungen abbrechen sollten. Es war furchtbar.»

Portrait einer jungej Frau mit schwarzen Haaren, welche man nur oben sieht, da sie ein schwarzes Kopftuch trägt.
Legende: Tagelang geweint: Die hochbegabte Husna war im Examen ihres Medizinstudiums, als die Taliban anordneten, dass Schluss ist mit Bildung. Seitdem versucht die 20-Jährige, ihr Wissen mit Online-Kursen aufzufrischen. SRF/Maren Peters

Die Taliban begründeten den Entscheid damit, dass Studentinnen die islamischen Kleiderregeln und die geforderte Geschlechtertrennung an den Universitäten nicht eingehalten hätten.

Sie habe tagelang geweint, sagt Husna. Bleich und in traditionelles Schwarz gekleidet, sitzt sie auf einem Sofa in der Hauptstadt Kabul. Herzchirurgin wollte sie werden, die erste Ärztin in der Familie. Die Familie nannte sie «Miss Doktor». Husna, die immer als Klassenbeste brilliert und zwei Schuljahre übersprungen hatte, versucht nun, ihr Wissen mit Online-Kursen frisch zu halten.

Nur, wofür? «Die Zukunft ist ungewiss. Das Recht auf Bildung ist uns gestohlen worden. Es ist kaum zu ertragen.»

Haft und Misshandlung wegen Aktivismus

Die Aktivistin Zhulia Parsi will sich das nicht gefallen lassen. Seit der Machtübernahme der Taliban darf die frühere Regierungsangestellte nicht mehr arbeiten. Und ihre Teenager-Töchter dürfen nicht mehr zur Schule gehen. «Sie waren sehr deprimiert. Darum habe ich angefangen, für ihre Rechte zu kämpfen.»

Frau in schwarzem Kopftuch zeigt ein Handy von hinten, auf dem ein Sticker mit einer Faust ist.
Legende: Die Aktivistin und frühere Regierungsangestellte Zhulia Parsi darf seit dem Regimewechsel nicht mehr arbeiten, ihre Töchter nicht mehr zur Schule gehen. Sie kämpft gegen die Verbote, aber das wird immer gefährlicher. SRF/Maren Peters

Zhulia Parsi, die in Wirklichkeit anders heisst, hat schon mehr als 30 Demonstrationen für Frauenrechte und -bildung organisiert. Ein schwieriges Unterfangen, bei dem alle Teilnehmerinnen Kopf und Kragen riskieren. 

«Ich bin schon drei Mal schlimm misshandelt worden», erzählt Parsi. «Ende Dezember haben die Taliban einen Haftbefehl mit Foto gegen mich erlassen und an alle Provinzen verschickt.»

Würde sie reisen, müsste die Enddreissigerin befürchten, an jedem Checkpoint festgehalten zu werden. Auch in ihrer Heimatstadt Kabul kann sich die fünffache Mutter nicht mehr frei bewegen.

Verbotsliste wurde immer länger

Kein anderes Land der Welt unterdrückt Frauen so sehr wie Afghanistan – im Namen des Islam.

Mädchen ab Klasse 7 dürfen nicht mehr zur Schule zu gehen, Frauen nicht mehr arbeiten. Ausserdem müssen sich Mädchen und Frauen auf der Strasse verhüllen und dürfen nur noch mit engen männlichen Verwandten reisen. Parks, Fitnessstudios und Bäder sind für sie tabu.

Seit Ende Dezember letzten Jahres ist es Frauen auch verboten, in Nichtregierungsorganisationen zu arbeiten und an Universitäten zu studieren.

Schaufensterpuppen in grünen und roten Kleider, prachtvoll bestickt, und mit schwarzem Plastik über dem Gesicht.
Legende: Kopflose Kleiderpuppe: Die Taliban zwingen Frauen, sich zu verhüllen. Schaufensterpuppen dürfen nicht mal mehr ihr Gesicht zeigen. SRF/Maren Peters

Parsi erinnert das alles an die erste Regierung der Taliban, zwischen 1996 und 2001. Schon einmal haben die Gotteskrieger Frauen nach Hause verbannt. «Unser erstes Ziel ist es, den Taliban zu zeigen, dass sie nicht über Frauen herrschen können wie vor 20 Jahren. Ihnen zu zeigen, dass wir jetzt gebildet sind. Und unser zweites Ziel ist es, der Welt zu zeigen, dass die Taliban sich nicht verändert haben. Sie sind genauso brutal wie vor 20 Jahren.»

Lange haben Zhulia Parsi und ihre Mitstreiterinnen auf offener Strasse demonstriert. Inzwischen sei das sehr gefährlich geworden, sagt sie. Auch auf dem Weg zu diesem Treffen hat sie dreimal das Taxi gewechselt. Sie hatte Angst, dass ein Regierungsspion am Steuer sitzen und sie verraten könnte.

«Mein Leben ist gefährlich und chaotisch geworden.» Zu Hause kann sie nicht mehr wohnen. Achtmal ist sie schon umgezogen. Jedes Mal haben die Taliban sie gefunden. «An manchen Tagen denke ich, wenn ich nicht protestieren und Slogans brüllen würde, dann würde ich mich umbringen.»

Mensch mit einer blauem Verhüllung von Kopf bis Fuss, unscharfe Figur, da hinter einem verregnetem Fenster.
Legende: Immer mehr Repressionen: Afghanische Frauen müssen sich verhüllen. Jetzt gehen Gerüchte um, dass bald auch die Burka zur Pflicht werden könnte, also die Ganzkörper-Verschleierung. SRF/Maren Peters

Zumindest der Bildungsbann ist unter den Taliban umstritten: Einige Minister in Kabul haben das Verbot zuletzt offen kritisiert. Doch das letzte Wort hat Mullah Hibatullah Achundsada, der erzkonservative Taliban-Führer in Kandahar. Die Gotteskrieger sind ihm zu striktem Gehorsam verpflichtet.

Olivier Franchi: «Das ist doch paradox»

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Weil die Taliban Frauen verboten haben, für NGOs zu arbeiten, müssen Hilfswerke ihre Dienstleistungen einschränken. Olivier Franchi, Länderchef von «Save the Children», sagt, welche Auswirkung dieses Verbot hat.

SRF News: Seit gut drei Monaten dürfen Afghaninnen nicht mehr für NGOs arbeiten. Welche Folgen hat das für «Save the Children»?

Olivier Franchi: Vor dem 24. Dezember haben wir in Afghanistan 4800 Leute beschäftigt, davon fast die Hälfte Frauen. Sie haben in der ganzen Organisation gearbeitet. Das ist in einem Land, in dem Geschlechter streng getrennt werden, extrem wichtig. Jobinterviews mit einer Frau kann zum Beispiel nur eine Frau führen. Wenn man in einem Arbeitsmarkt, in dem ohnehin schon ein Mangel an qualifiziertem Personal herrscht, nochmal 50 Prozent der Arbeitskräfte ausschliesst, ist das keine gute Idee.

Wird es durch den Frauenbann schwieriger, Hilfsleistung zu erbringen?

Wenn man von den lokalen Gemeinschaften in Afghanistan akzeptiert werden möchte, muss man ihre Traditionen respektieren. Wir müssen darum Frauen haben, die mit einheimischen Frauen kommunizieren. Wenn man Afghaninnen aber verbietet, für uns zu arbeiten, können wir das nicht mehr machen. Das führt dazu, dass wir auch unsere Hilfsleistungen für afghanische Frauen einstellen müssen – und damit für die Hälfte der Bevölkerung. Wir halten das für komplett inakzeptabel.       

Sind Sie in Gesprächen mit den Taliban?

Ja, wir haben vom ersten Tag des Banns an klargemacht, dass «Save the Children» ohne Frauen im Team nicht arbeiten kann. Weil wir nicht das Risiko eingehen wollen, dass wir bestimmte Bevölkerungsteile von Hilfslieferungen ausschliessen, wenn wir nur noch Männer beschäftigen. Und wir haben immerhin erreicht, dass wir zumindest in Bildungs- und Gesundheitsprogrammen wieder Frauen beschäftigen dürfen.

Geben Sie sich damit zufrieden?

Nein, wir können mit dieser Ausnahmeregel zwar 50 Prozent unserer Dienstleistungen wieder anbieten, was positiv ist. Aber wir mussten unsere gesamte Nahrungsmittelhilfe auf Eis legen. Wir brauchen eine schnelle Lösung. Denn ein grosser Teil der Bevölkerung hungert und kann wegen dieser Hürden nicht mit Nahrung beliefert werden. Das ist doch paradox.

SRF 1, 1.4.2023, 9:08 Uhr

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