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Aggressive Rhetorik «Eine Nato-Aufnahme der Türkei wäre heute weitgehend undenkbar»

Es kriselt zwischen der Türkei und Griechenland. Heute Freitag soll ein türkisches Gas-Bohrschiff aus dem östlichen Mittelmeer zurückkommen. Eine Mission, die für Spannungen sorgt. Denn die beiden Länder streiten schon lange um mögliches Erdgas im Mittelmeer. Beide Staaten sind Nato-Mitglieder. Wie problematisch ist dieser Streit für das militärische Bündnis? Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF, ordnet ein.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

SRF News: Inwiefern ist der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland ein Problem?

Fredy Gsteiger: Zwei wichtige Partner stehen praktisch an der Schwelle zu militärischen Auseinandersetzungen. Es schwächt das Bündnis, seine Abschreckungswirkung und es absorbiert auch Kapazitäten der Nato, vor allem im Bereich der Streitschlichtung. Auf der anderen Seite gilt es festzuhalten: Wenn Griechenland und die Türkei nicht schon seit Jahrzehnten Nato-Mitglieder wären, hätte man möglicherweise längst einen offenen militärischen Streit.

Wie kann man die Spannungen genau einordnen?

Das militärische Problem betrifft die Nato-Südostflanke, also den Raum, der an den Nahen Osten grenzt, wo auch Migrationsströme durchgehen. Dort möchte man eigentlich möglichst geeint und robust auftreten. Aber wenn gerade die beiden Länder, die diese Südostflanke abdecken, miteinander im Streit sind, ist das schwierig.

Was ist der Anlass für die jüngsten Spannungen?

Es gibt viele Streitpunkte. Die territorialen Streitigkeiten in der Ägäis kochen immer wieder hoch. Die jüngste Eskalation hat aber vor allem damit zu tun, dass der türkische Präsident Erdogan immer nationalistischer agiert. Er steht wegen der bevorstehenden Wahlen unter Druck und ist deswegen unter Umständen auch geneigt, aussen- und sicherheitspolitische Streitigkeiten zu schüren. Damit lenkt er von innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen ab.

Erdogan ist geneigt, aussen- und sicherheitspolitische Streitigkeiten zu schüren.

Hinzu kommt, dass in dieser Gegend auch Bodenschätze gefunden wurden. Und auf der Insel Zypern, wo der südliche Teil von Griechenland unterstützt wird und der nördliche Teil von der Türkei besetzt ist, sieht es immer schlechter aus für eine mögliche Wiedervereinigung.

Wie gut passt die Türkei noch in das Verteidigungsbündnis?

Immer schlechter. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich die westliche Allianz nicht nur als militärische, sondern auch als Wertegemeinschaft deklariert. Die Länder stehen nicht nur sicherheitspolitisch zusammen, sondern auch auf denselben demokratischen und rechtsstaatlichen Werten.

Eine Aufnahme der Türkei in die Nato wäre heute weitgehend undenkbar.

Von diesen Werten hat sich Erdogan sehr stark entfernt. Ich glaube, eine Neuaufnahme der Türkei heute in die Nato wäre weitgehend undenkbar.

Ist auch ein Ausschluss möglich?

Das ist gar nicht so einfach. Bei vielen internationalen Organisationen sind Austritte oder Ausschlüsse eigentlich nicht vorgesehen. Wenn die Türkei aber selber zum Schluss käme, austreten zu wollen, dann kann sie das sicher tun.

Wäre ein Austritt der Türkei auch mit Problemen verbunden?

Das ist genau die Schwierigkeit und auch der Grund, weshalb die Nato nicht mehr Druck macht. Die Türkei ist sozusagen der Riegel zwischen dem Nahen Osten und dem übrigen Nato-Raum, der bei einem Austritt aber weg wäre.

Finnland und Schweden: Erdogan stellt sich quer

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Erdogan hat erneut mit einer Blockade des geplanten Nato-Beitritts von Schweden gedroht. «Solange Terrororganisationen auf den Strassen Schwedens demonstrieren und solange Terroristen im schwedischen Parlament sind, wird es keine positive Einstellung der Türkei gegenüber Schweden geben», sagte Erdogan am Donnerstagabend bei einer Pressekonferenz in der tschechischen Hauptstadt Prag.

Der Staatschef spielte damit auf von ihm wiederholt geäusserte Vorwürfe an, nach denen schwedische Politiker mit Mitgliedern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und Anhängern der Gülen-Bewegung sympathisieren und deren Aktivitäten nicht ausreichend verfolgen.

Nur noch zwei Ratifizierungen fehlen

Schweden und das benachbarte Finnland hatten infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bereits Mitte Mai die Nato-Mitgliedschaft beantragt. Aufgenommen werden können sie allerdings nur, wenn alle der derzeit 30 Nato-Mitglieder die Beitrittsprotokolle ratifizieren. Ende Juni hatte es zunächst so ausgesehen, als sei der Streit über die angebliche Unterstützung von Schweden und Finnland für «Terrororganisationen» beigelegt. Die Türkei stellt sich nun allerdings auf den Standpunkt, dass damals getroffene Absprachen vor allem von Schweden noch nicht erfüllt wurden.

Die Türkei ist neben Ungarn mittlerweile das einzige Land, dass die Beitrittsprotokolle für Schweden und Finnland noch nicht ratifiziert hat. Aus Ungarn gibt es bislang allerdings keine Drohungen, das Verfahren nicht abzuschliessen.

Das will die Nato nicht. Klar ist auch, dass die Türkei bei diesem Szenario nicht einfach ein wohlwollendes Land, sondern eine entschiedene Gegnerin der Nato wäre. Man hätte da nicht eine neutrale Schweiz oder ein Finnland an der Nato-Aussengrenze, sondern einen klaren Widersacher.

Das Gespräch führte Tobias Bühlmann.

SRF 4 News, 07.10.2022, 06:40 Uhr ; 

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