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«Folterkommandant» in Schweizer Haft: Jetzt kommt der Prozess
Aus Rundschau vom 22.03.2023.
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Akte Gambia Prozess gegen «Folterkommandant»: Widersprüche im Fall Sonko

Die Bundesanwaltschaft wirft dem gambischen Ex-Innenminister Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Mehrfache Folter, Tötung und Freiheitsberaubung: Die Bundesanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen gambischen Innenminister. Ousman Sonko galt als rechte Hand des Langzeitherrschers Yahya Jammeh. Dessen Regierung hielt das Land bis 2016 in eisernem Griff und ging mit Gewalt gegen Kritiker und Oppositionelle vor.

Schwere Vorwürfe

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Die Bundesanwaltschaft wirft Ousman Sonko vor, als ehemaliger Generalinspektor der Polizei und Innenminister Gambias 2006 bis 2016 für Folterungen durch Polizeikräfte, Gefängnispersonal und andere Sicherheitskräfte verantwortlich gewesen zu sein. Das geht aus Gerichtsurteilen zur U-Haft hervor. Sonko bestreitet die Vorwürfe – es gilt die Unschuldsvermutung.

«Angriff gegen die Zivilbevölkerung» 

Sonko war 2016 in die Schweiz geflohen und hatte unbehelligt in einem bernischen Asylzentrum gelebt, bis die «Rundschau» ihn dort aufspürte. Sonko wurde von der Nichtregierungsorganisation TRIAL International angezeigt, verhaftet und die Bundesanwaltschaft eröffnete ein Verfahren gegen ihn. Sonko sitzt seit über sechs Jahren in U-Haft – diese läuft Ende Woche aus. Wie die «Rundschau» weiss, haben die Ermittler nun eine weitere Verlängerung um zwei Monate beantragt. Sie werfen dem Gambier mehrfache Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor – also einen «ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung».

Was aber schlecht in dieses Bild passt: Während Sonkos Amtszeit wies die Schweiz nahezu alle gambischen Asylsuchenden ab. 4306 Gambier stellten von November 2006 bis September 2016 einen Asylantrag. Auf die Mehrheit wurde nicht eingetreten – meist weil es sich um Dublin-Fälle handelte – oder sie wurden abgeschrieben. 469 wurden abgelehnt, nur gerade 8 erhielten Asyl. Die hohe Ablehnungsquote von über 98 Prozent begründet das Staatssekretariat für Migration (SEM) damit, dass diese Personen die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllten. Während Sonkos Amtszeit wurden 369 Gambier nach Gambia zurückgeschafft.

«Es ist ein offener Widerspruch»

Zu dieser Konstellation sagt Migrationsrechtler Peter Nideröst: «Das ist ein offener Widerspruch. Der Straftatbestand der Verbrechen gegen Menschlichkeit setzt einen massiven, ausgedehnten, systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung voraus. Hätte der stattgefunden in Herrn Sonkos Amtszeit, hätte das zu einer signifikant höheren Anerkennungsquote im Asylbereich führen müssen.»

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Peter Nideröst, Experte für Migrationsrecht: «Das ist ein offener Widerspruch»
Aus News-Clip vom 21.03.2023.
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Das SEM kommentiert das Verfahren der Bundesanwaltschaft nicht. Zur Menschenrechtslage in Gambia während Sonkos Amtszeit hält es fest, dass «in dieser Zeit zwar gewisse Gruppen (z.B. Regimekritiker) mehr oder weniger gezielt verfolgt wurden – nicht aber die generelle gambische Bevölkerung». Das Bundesverwaltungsgericht stützt diese Einschätzung. Es wies Rekurse abgewiesener Gambier im selben Zeitraum fast ausnahmslos zurück. In Gambia herrsche keine Gewalt, aufgrund derer die Zivilbevölkerung als konkret gefährdet bezeichnet werden müsste.

Für den Migrationsrechtler löst das den Widerspruch nicht auf. Die Kluft zwischen der Schwere der Vorwürfe und der tiefen Anerkennungsquote sei zu gross, sagt Nideröst. Der Fall zeige, wie sehr die Politik die Justiz beeinflusse. «Auf der einen Seite will man eine restriktive Asylpraxis und andererseits eine aggressive Strafverfolgung bei Menschenrechtsverbrechen. Das führt zu widersprüchlichen Argumentationen, widersprüchlichen Grundlagen und letztendlich widersprüchlichen Entscheiden.»

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Peter Niederöst, Rechtsanwalt: «Eine restriktive Asylpraxis und eine aggressive Strafverfolgung führen zu widersprüchlichen Entscheiden»
Aus News-Clip vom 21.03.2023.
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Die Rechtsanwältin Annina Mullis vertritt im Verfahren gegen Ousman Sonko einen Kläger. Sie gibt zu bedenken: Die Aufarbeitung durch die Wahrheitskommission in Gambia habe inzwischen wichtige Informationen zutage gefördert – diese seien dem SEM und dem Bundesverwaltungsgericht vor dem Sturz des Regimes wohl noch nicht bekannt gewesen. Zudem werde in Asylverfahren geprüft, ob ein individueller Asylgrund bestehe und nicht, ob in der Vergangenheit Verbrechen verübt wurden. Es kämen also unterschiedliche Massstäbe zur Anwendung.

Die Bundesanwaltschaft schreibt, es sei ihre Aufgabe als Strafverfolgungsbehörde, den Sachverhalt tatsächlich und rechtlich abzuklären. Im Gegensatz zu anderen involvierten Parteien könne sie sich mit Rücksicht auf das laufende Verfahren jedoch nicht vor einem Gerichtsprozess öffentlich äussern.

SRF 4 News, 22.3.23, 7:10 Uhr

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