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Umstrittene Asylpraxis Erstmals erwiesen: Eritrea-Rückkehrer wurde gefoltert

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) ist mit dem offiziell ersten Folter-Fall eines Schweizer Eritrea-Rückkehrers konfrontiert. Man prüfe nun den Sachverhalt, sagt das Amt.

Die Geschichte von Yonas* dürfte es, gemäss der offiziellen Schweiz, gar nicht geben: Einst vor dem eritreischen Nationaldienst in die Schweiz geflüchtet, wird sein Asylgesuch 2017 vom Staatssekretariat für Migration (SEM) abgelehnt. Seine Aussagen seien widersprüchlich. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt den Entscheid der Migrationsbehörde. Yonas landet in der Nothilfe.

Eritrea-Asylpolitik der Schweiz

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Die Asylpolitik der Schweiz gegenüber eritreischen Flüchtlingen hat sich in den letzten Jahren stets verschärft. Lange galt de facto ein Wegweisungsstopp für Geflüchtete aus Eritrea und allein die illegale Flucht aus der Diktatur reichte für eine vorläufige Aufnahme in der Schweiz. Dem ist nicht mehr so.

2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht sogar, für abgewiesene Asylbewerber gelte es nicht mehr als «allgemein unzumutbar» nach Eritrea zurückzukehren. Für die Betroffenen hat das zur Folge, dass sie entweder auf unbestimmte Zeit in der Nothilfe landen oder freiwillig in die Diktatur zurückreisen. Gemäss Staatssekretariat für Migration liegt die Schutzquote für eritreische Flüchtlinge aktuell bei 85 Prozent (siehe Grafik).

Seine Zukunfts-Perspektiven sind düster: Entweder freiwillige Rückkehr in die Diktatur Eritrea oder ein Leben in der Nothilfe. Der Flüchtling macht in der ausweglosen Situation einen Suizidversuch und entscheidet sich 2018 für eine Rückkehr nach Eritrea.

Zwei Wochen Verhör und Folter nach Rückkehr

«Am Flughafen Asmara kamen zwei Männer auf mich zu und fragten mich: Bist du Yonas? Dann nahmen sie mir alles ab. Auch die 3000 Dollar, die ich von der Schweiz als Starthilfegeld erhalten hatte», erzählt der 35-jährige Eritreer. In einem dunklen Raum sei er verhört worden. «Warum bist du geflüchtet?» hätten die Soldaten gefragt.

Schweizerische Flüchtlingshilfe kritisiert Eritrea-Asylpolitik

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«Eritrea ist eine Diktatur und schwerste Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung», sagt Eliane Engeler von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die Organisation kritisiert, dass für eine Rückkehr nach Eritrea keine ausreichende Risikoabschätzung gemacht werden könne.

«Es gibt kein Monitoring der Personen, die abgewiesen werden und zurückgehen. Das ist gar nicht möglich aufgrund der Situation im Land. Das heisst, es gibt keine verlässlichen Informationen, was mit jenen passiert, die zurückkehren.» Die Flüchtlingshilfe stelle fest, dass die Eritreerinnen und Eritreer trotz Wegweisungsentscheid nicht zurückkönnen und entweder in der Nothilfe festsitzen oder in die Illegalität abgedrängt werden.

Über sein Leben in der Schweiz hätten sie bestens Bescheid gewusst. Auch, dass er an einer Demonstration in Genf gegen die eritreische Regierung teilgenommen habe. «Dann schlugen sie mich. Mit Stock und Gürtel. Vor allem an den Beinen und am Rücken, immer wieder». Nach zwei Wochen Verhör und Folter kommt Yonas ins Gefängnis.

Folter-Fall nach Schweizer Ausweisung bestätigt

Das Staatssekretariat für Migration hat bislang bestritten, dass für abgewiesene eritreische Flüchtlingen bei einer Rückkehr nach Eritrea das Risiko von Menschenrechtsverletzungen droht. Tatsache ist: Die Behörde wusste bis zum Fall Yonas nicht, was mit Rückkehrern passiert, da sie nicht über die nötigen Informationen verfügt.

«Wir können die Personen dann dort nicht überwachen», sagt Daniel Bach vom SEM. «Wir haben aber keine Informationen darüber, dass zurückgekehrte Personen – abgesehen von diesem Fall, den sie uns präsentieren – Menschenrechtsverletzungen erleben.»

Zweiter Asylantrag gutgeheissen

Yonas gelingt nach einigen Monaten Gefängnis zum zweiten Mal die illegale Flucht aus Eritrea. Das Recherchekollektiv «Reflekt» spürt ihn auf seinem Weg nach Europa auf und berichtet 2020 erstmals über den Fall im Online-Magazin «Republik».

Mitte 2021 kommt Yonas erneut in die Schweiz und stellt einen zweiten Asylantrag. Dieser wird im Dezember 2021 gutgeheissen. Yonas erhält den Flüchtlingsstatus B und ist definitiv aufgenommen. Die Begründung behält das Staatssekretariat für Migration unter Verschluss und muss diese nicht öffentlich machen.

Ändert das SEM seine Eritrea-Asylpraxis?

Ob das Staatssekretariat für Migration aufgrund des Falles Yonas seine Eritrea-Asylpraxis ändert, ist unklar. Daniel Bach vom SEM sagt: «Selbstverständlich schauen wir uns den Fall genau an. Falls wir daraus schliessen, dass es eine sehr viel stärkere Bedrohungslage gibt, als bislang angenommen, dann könnte das bis zu einem Wegweisungsstopp für eritreische Flüchtlinge führen.» Vorläufig sehe man keinen Grund, die Wegweisungspraxis zu ändern, ergänzt das SEM auf Nachfrage.

*Name zum Schutz der Angehörigen in Eritrea geändert

10vor10, 03.05.2022, 21:50 Uhr

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