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Als erster Staat «Totale Kehrtwende»: Russland anerkennt Taliban in Afghanistan

Als erstes Land der Welt hat Russland die radikalislamischen Taliban offiziell anerkannt. Was sich Moskau davon erhofft.

Das ist passiert: Russland hat als erstes Land der Welt offiziell die Regierung der radikalislamischen Taliban in Afghanistan anerkannt. Moskau habe die Akkreditierungsurkunde eines neuen afghanischen Botschafters angenommen, hiess es vom russischen Aussenministerium.

Lawrow und sein Taliban-Amtskollege schütteln sich die Hand.
Legende: Schüttelten sich bei Gesprächen in Moskau die Hand: Der russische Aussenminister Sergej Lawrow und sein afghanischer Amtskollege Amir Chan Muttaki. (4.10.2024) Keystone / Russisches Aussenministerium via AP

Das sagt Moskau: Die Anerkennung des Islamischen Emirats Afghanistan würde der Zusammenarbeit einen Impuls geben, so das Ministerium weiter. Russland wolle Afghanistan im Kampf gegen den Terrorismus und den Drogenhandel unterstützen.

Russlands zwei Gründe: Gemäss Russland-Korrespondent David Nauer gibt es für die Anerkennung der Taliban hauptsächlich zwei Gründe:

  1. Mehr Einfluss in Zentralasien: Russland betrachtet Afghanistan seit Jahrzehnten als Teil seines Einflussgebiets in Zentralasien. Zu Sowjetzeiten hat Moskau jahrelang Krieg geführt in dem Land. Nun sieht sich Russland durch örtliche Islamistengruppen bedroht. Beispielsweise reklamierte der Islamische Staat Provinz Khorasan (ISPK), ein Flügel innerhalb des IS, den Anschlag auf eine Moskauer Konzerthalle Ende März 2024 mit 140 Toten für sich. Der ISPK kämpft auch gegen die Taliban in Afghanistan. «Die Taliban und Moskau haben somit den gleichen Gegner. Das schweisst zusammen – und passt zudem zu den regionalen Machtansprüchen Moskaus, eng mit Kabul zusammenzuarbeiten.»
  2. Zur geostrategischen Strategie passend: Seit dem Überfall auf die Ukraine versucht Russland, Länder aus dem globalen Süden auf seine Seite zu ziehen. Nach Nordkorea und China folgt jetzt Afghanistan. «Die Anerkennung Afghanistans passt in diese russische Strategie hinein.»

Das sagen die Taliban: Sie sprechen von einem «historischen und mutigen Schritt», einem «guten Beispiel» Russlands.

Was sich die Taliban erhoffen

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Mann geht vor Fahrzeug mit bewaffneten Personen auf staubigem Weg.
Legende: Internationale Organisationen haben Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban verlassen. REUTERS / Jorge Silva

ARD-Auslandskorrespondent Peter Hornung erklärt, dass es der Taliban um ihre moralische Aufwertung gehe, um wirtschaftliche Unterstützung, Entwicklungshilfe und Hilfe bei der Aufhebung der internationalen Sanktionen.

Russlands blutige Beziehung zu den Taliban: Die Beziehungen zwischen Russland und Afghanistan haben eine wechselhafte und oft blutige Geschichte: Nach dem sowjetischen Einmarsch Ende 1979 führten die Russen für die damals kommunistische Regierung und gegen islamistische Aufständische – die sogenannten Mudschaheddin – Krieg (siehe Box unten). Die Taliban wurden von ehemaligen Mudschaheddin gegründet. Ausserdem anerkannten die Taliban nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung der abtrünnigen russischen Region Tschetschenien deren Unabhängigkeit. Die Taliban unterstützten die ebenfalls islamistischen, tschetschenischen Kämpfer mit Geld und Waffen. Unter anderem deshalb hat Präsident Wladimir Putin nach dem Terroranschlag in den USA am 11. September den US-Einmarsch in Afghanistan damals gutgeheissen.

Afghanistan – seit 50 Jahren Krieg

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Soldaten auf gepanzerten Fahrzeugen, die eine Brücke überqueren.
Legende: Truppenabzug der Sowjetunion aus Afghanistan (aufgenommen in Termiz an der Grenze zwischen der Sowjetrepublik Usbekistan und Afghanistan) KEYSTONE / AP Photo / Vitaly Zaporozhchenko

Afghanistan ist seit bald 50 Jahren Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen: Ende 1979 marschierten die Sowjets ins Land ein, um die damals kommunistische Regierung gegen Aufständische, die sogenannten Mudschaheddin, zu stützen. Letztere wurden vor allem von den USA mit Waffen beliefert – es herrschte Kalter Krieg. Der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow zog die Armee 1989 ab. Bis dahin waren etwa 15’000 sowjetische Soldaten getötet worden. Die Lage in Afghanistan blieb instabil.

1996 übernahmen die radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan erstmals die Macht. Sie boten dem Al-Kaida-Terrorführer Osama bin Laden und seinen Extremisten Unterschlupf und stellten ihnen Trainingsgelände zur Verfügung. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 marschierten die US-Armee und ihre Nato-Verbündeten in Afghanistan ein – mit dem Ziel, die Taliban und Al-Kaida zu eliminieren. Sie stürzten das Talibanregime und unterstützten den Aufbau einer neuen afghanischen Regierung unter Hamid Karzai.

Die Petersberger Konferenz 2001 legte den Grundstein für eine Demokratisierung des Landes. Trotz internationaler Hilfe blieb Afghanistan aber in den Folgejahren von Gewalt und Instabilität geprägt. Die Taliban formierten sich neu und führten einen langjährigen Aufstand gegen die Regierung in Kabul und die ausländischen Truppen.

Der Abzug der westlichen Truppen 2021 führte zu einem raschen Vormarsch der Taliban, die Kabul und schliesslich das gesamte Land einnahmen. Erneut errichteten sie das Islamische Emirat Afghanistan. Menschen- und Frauenrechte wurden massiv abgebaut.

«Die totale Kehrtwende»: Zuletzt hat Russland seine Beziehungen zu den Taliban schrittweise ausgebaut. Putin hatte die Islamisten im vergangenen Jahr als Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus bezeichnet. Seit 2022 importiert Afghanistan Erdgas, Öl und Weizen aus Russland. Die Taliban waren an Wirtschaftsforen in St. Petersburg eingeladen. Noch bis vor zwei Monaten waren die Taliban in Russland als terroristische Organisation eingestuft und verboten gewesen. «Es ist eine totale Kehrtwende Russlands – aber es ist eine Kehrtwende, die der Kreml lange aufgegleist hat – auch mit Blick auf die Konfrontation mit dem Westen. Russland verbündet sich mit allen, die sich als Feinde des Westens sehen», sagt Russland-Korrespondent David Nauer.

Taliban international in der Kritik

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Seit ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 stehen die Taliban international in der Kritik und weitgehend isoliert da – unter anderem, weil sie Menschen- und insbesondere Frauenrechte massiv einschränken. Frauen seien in Afghanistan vom Leben «vollkommen ausgeschlossen», sagt Peter Hornung. Die Anerkennung Russlands komme in einer Zeit, in der sich dies verschlimmert habe.

SRF 4 News, 4.7.2025, 9 Uhr ; 

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