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«Ampel» in der Krise Olaf Scholz, der Zorn und der verpasste letzte Zug

In der Politik, im Leben allgemein, gibt es Anekdoten, welche die Grosswetterlage sehr gut beschreiben. Die schönste, treffendste Geschichte dieser Woche ist die folgende: Der Chef der aktuell streikenden Lokführer, Claus Weselsky, wollte am Dienstagabend mit der Eisenbahn von Frankfurt nach Berlin fahren – doch er verpasste den letzten Zug. Der Streik der eigenen Leute machte Weselsky einen Strich durch die Reise-Rechnung. Er fuhr dann mit dem Auto – morgens um 3 Uhr war er in Berlin.

Extrem tiefe Umfragewerte

Weselsky war also Opfer seines eigenen Handelns. Und hier gibt es eine Gemeinsamkeit mit der Ampelregierung von Olaf Scholz. Das zuweilen chaotische Regierungshandeln der Koalition führt zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung, zu Wut und Enttäuschung. Eine Umfrage der ARD zeigt: Nur noch 19 Prozent sind mit der Arbeit von Scholz zufrieden. Noch nie seit Messbeginn 1997 war ein Kanzler, eine Kanzlerin, so unbeliebt.

Irgendwie ist der Faden gerissen. Die Bauernproteste sind da nur die Spitze des Eisbergs. Auf vielen Ebenen gab es für viele Menschen Enttäuschungen. Das verunglückte Heizungsgesetz, das viele Hausbesitzerinnen und -besitzer erschreckte. Den versprochenen, aber nicht eingehaltenen Bürokratieabbau. Und das Budget von Finanzminister Lindner, das ein Gericht als rechtswidrig abgelehnt hat und jetzt zu den Sparmassnahmen führt, gegen die die Bauern so wütend auf die Strasse gehen. Irgendwie läuft gerade alles aus dem Ruder, vergessen ist alles, was Scholz und seine Leute auch zustande gebracht haben: Die abgewendete Gaskrise nach Putins Überfall auf die Ukraine zum Beispiel zählt nicht mehr.

Kanzler Scholz ist ganz schön einsam im Kanzleramt – und nun probt auch seine eigene Partei, die SPD, den Aufstand. Die Schuldenbremse, zentrales Element des Koalitionsvertrags vor allem für die FDP, soll fallen. Bis Ende Woche wollen SPD-Abgeordnete das in einer Fraktionsklausur durchbringen – im Wissen darum, dass Scholz dazu niemals Ja sagen kann, ohne die Ampel in Gefahr zu bringen, den Bruch zu riskieren mit der FDP. Grösster Druck von allen Seiten.

Trübe Tage für Scholz

Und was tut Scholz? Er schweigt. Die Frage ist natürlich, ob Scholz eine grosse Rede, einen Befreiungsschlag, auch mit Inhalt füllen könnte. Ob er irgendjemandem irgendwelche Zugeständnisse machen könnte, ob er Hoffnung versprühen könnte. Etwas, was Vertrauen zurückbringen könnte. In Sicht ist bislang nichts davon.

Die grosse Krise des Olaf Scholz nützt vor allem den extremen Rändern. Die «Alternative für Deutschland» eilt vor allem im Osten Deutschlands von Umfragehoch zu Umfragehoch. Die AfD holt die Unzufriedenen, die Gefrusteten ab. In Thüringen und Sachsen gibt es schon Gedankenspiele, wonach die AfD das Amt des Ministerpräsidenten erobern könnte. In Sachsen liegt des Kanzlers SPD bei drei Prozent. Und die ehemalige Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht will mit ihrer neuen Partei ebenfalls angreifen – auch die Ampel, auch Scholz.

Es sind trübe Tage für Scholz, für seine ganze Regierung, für sein ganzes Projekt, das mit viel Elan und auch viel Goodwill gestartet war. Jetzt verbindet Scholz ziemlich viel mit Gewerkschaftschef Weselsky: Der letzte Intercity ist weg. Es geht mit dem Auto durch die schwarze Nacht. Und nachts auf der Autobahn ist es einsam. Fahren auf Sicht, man friert ein bisschen, der nächste Morgen weit weg.

Stefan Reinhart

Leiter Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

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Heute Morgen, 09.01.2024, 6 Uhr

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