Grosse Verliererin bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am Wochenende ist die Partei Die Linke. In beiden Bundesländern verliert sie je rund acht Prozentpunkte und landet bei gut zehn Prozent Wähleranteil. Und dies ausgerechnet im Osten Deutschlands, wo die Partei bisher besonders stark war. Torsten Oppelland, Experte für die Linkspartei, über die Gründe.
SRF News: Hat Die Linke nach den Verlusten ein Identitätsproblem?
Torsten Oppelland: Absolut. Der Punkt ist – und das ist das zentrale Problem der Linken –, dass ein Teil ihrer traditionellen Anhänger in Ostdeutschland die Flüchtlingspolitik, wie sie seit 2015 in Deutschland herrscht, absolut ablehnt.
Das hat auch tiefer liegende Ursachen, etwa eine Mentalität, die alles, was anders ist, eher mit Skepsis betrachtet.
Dabei kommen verschiedene Faktoren zusammen: Vordergründige, wie ein gewisser Sozialneid, wenn plötzlich Milliardenbeträge zur Integration von Flüchtlingen vorhanden sind, während Bürgern immer gesagt wurde, dass es kein Geld gibt, wenn sie die Schulen sanieren wollten. Aber es hat auch tiefer liegende Ursachen, etwa eine Mentalität, die alles, was anders ist, mit Skepsis sieht.
Diese Wähler kann die Linke nicht mehr halten. Und das will sie auch gar nicht.
Diese Wähler kann die Linke nicht mehr halten. Und ganz hart formuliert: Das will sie auch gar nicht. Manche vom kosmopolitischen Flügel der Linken, Jüngere vor allem, sagen hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand: Wenn unsere Wähler rassistisch sind, dann wollen wir die auch nicht mehr.
Aber das ist doch eine Bankrotterklärung für eine Partei?
Sie hatte natürlich gehofft, dass sie an anderer Stelle dafür neue Wähler gewinnen würde. Durch eine klare Haltung gegen rechts und für offene Grenzen, die im Programm der Partei gefordert werden. Aber das gelingt nicht. Denn auf der Seite des politischen Spektrums haben sie in den Grünen eine übermächtige Konkurrenz. Sie verlieren sogar an sie. Wenn sie diesen Teil der Kernwählerschaft abschreiben und es nicht gelingt, andere dafür zu gewinnen, kommt genau das heraus, was herausgekommen ist.
In Sachsen sind viele zur AfD übergelaufen. Wie lässt sich erklären, dass jemand, der einst sehr links wählte, jetzt rechtspopulistisch wählt?
Das ist im Wesentlichen die Flüchtlingspolitik. Die Linke hat die Politik von Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage seit 2015 im Kern unterstützt.
An wen sollen sie sich wenden, wenn nicht an die einzigen, die dieses Politikfeld klar kritisieren?
Dieser Konsens der demokratischen Parteien lässt einen Teil der Bevölkerung zurück, der diesen nicht teilt. Und an wen sollen sie sich wenden, wenn nicht an die einzigen, die dieses Politikfeld klar kritisieren? Und das ist die AfD.
Der Linken und auch der PDS, der Vorgängerpartei, gelang es einst, Proteststimmen zu gewinnen. Wieso gelingt ihr das heute nicht mehr?
Die Rezepte, die die linke Führung jetzt propagiert, sind mehr Sozial- und Entwicklungspolitik für den ländlichen Raum, damit sich keiner abgehängt fühlt. Das ist wichtig, denn dieses Gefühl des Abgehängtseins trägt zur allgemeinen Unzufriedenheit sehr stark bei. Aber ich fürchte, es wird nicht reichen. Denn genau diese Felder bedient mittlerweile auch die AfD. Die Linke wird von einem Teil ihrer früheren Kernwählerschaft nicht mehr als die Vertretung ihrer Interessen gesehen. Und das zu ändern, ist schwierig.
Hat die Linke noch eine Zukunft?
Kurzfristig sicherlich, ja. Aber langfristig, da sich ja auch die SPD in sehr schwierigen Zeiten befindet, wird sich die Frage stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, mit zwei Parteien, die im Grunde ein ähnliches politisches Spektrum bedienen, bei Wahlen anzutreten. Erste Stimmen in diese Richtung sind zu vernehmen. Mittelfristig wird das also ein Thema werden.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.