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Andrej Babis vor Gericht Die tschechische Justiz funktioniert, aber...

Hier ist ein neues Wort: «Deagrofertisierung» – oder auf Tschechisch: Deagrofertizace. Das klingt umständlich, heisst aber einfach: Politik und Geschäft passen manchmal schlecht zusammen.

Agrofert ist der Name des Konzerns, den Andrej Babis gegründet hat; ein riesiger Konzern, Landwirtschaft, Chemie, Medien. Agrofert hat Andrej Babis reich gemacht. Und erfolgreich.

«Da wurde geschummelt» 

Zuletzt war Babis Chef der tschechischen Regierung. Und dem Konzern Agrofert ging es gut: Viermal mehr Unterstützungsgeld für seinen Landwirtschaftsteil hat er letztes Jahr bekommen – verglichen mit vor zehn Jahren.

Das Problem: Andrej Babis, der Regierungschef, verteilte wohl Subventionen, die Andrej Babis, der Unternehmer, einstrich. Tschechisches Geld und EU-Geld. Die EU sagte deshalb: Das ist ein Interessenkonflikt und Tschechien muss uns Subventionen zurückzahlen.

Vor nicht allzu langer Zeit gehörte auch das Kongresshotel Storchennest zum Agrofert-Konzern. Dann aber wurde es ausgegliedert – und bekam von der EU Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen. Bloss: Gleich danach wurde es wieder Teil des Agrofert-Konzerns – der sicher kein kleines oder mittleres Unternehmen ist. In Tschechien sagten deshalb viele: Da wurde geschummelt.

Lange gab es keine Ermittlungen

Solange Andrej Babis aber Regierungschef war, sagte er einfach: Ich habe mein Unternehmen Agrofert abgegeben an einen Treuhandfonds, es gehört mir nicht mehr, deshalb habe ich nichts zu tun mit den Subventionen – und auch nicht mit dem Storchennest.

Dabei verwalteten seine Vertrauten den Treuhandfonds, dabei hätte er jederzeit zurückkommen können, dabei druckte er seine Regierungsgeschäfte aus auf Agrofert-Papier, dabei schrieb das Landwirtschaftsministerium, man solle Agrofert bevorzugt behandeln. Trotzdem gab es lange keine Ermittlungen.

Strafe ja – aber...

Dann wurde die Regierung Babis abgewählt. Und der Staatsanwalt erhob Anklage im Fall Storchennest. Andrej Babis – für ihn gilt die Unschuldsvermutung – drohen nun eine bedingte Gefängnisstrafe und eine millionenteure Busse. Man kann sagen: Die tschechische Justiz funktioniert.

Man kann aber auch sagen: Was den – viel grösseren – Rest der Subventionen für Agrofert angeht, gibt es noch keine Untersuchungen. Das, sagen Babis' Kritiker, liege auch daran, dass die tschechische Verwaltung immer noch gespickt sei mit Agrofert-Leuten, mit Babis' Leuten. Es brauche deshalb eine Deagrofertisierung des Staats.

Babis gibt höchstwahrscheinlich im Oktober bekannt, dass er Tschechiens Präsident werden möchte. Er hat gute Chancen. Sollte er gewinnen, dürfte die Deagrofertisierung umso länger dauern.

Sarah Nowotny

Osteuropa-Korrespondentin

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Sarah Nowotny ist Osteuropa-Korrespondentin für SRF. Sie lebt in der polnischen Hauptstadt Warschau. Seit 2014 ist Nowotny bei Radio SRF tätig. Zuvor arbeitete sie für die «NZZ am Sonntag» und «Der Bund».

Echo der Zeit vom 12.09.2022, 18:00 Uhr

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