Zum Inhalt springen

Anschläge in Europa Der Terrorismus war nie weg

Der Islamische Staat galt als besiegt, doch wirklich weg war er nie. Fünf Gründe für das neue Erstarken des IS in Europa.

Insgesamt ist die Zahl der Anschläge in Europa seit mehreren Jahren rückläufig, die Lage hat sich gemäss Sicherheitsbehörden in den letzten Monaten aber verschärft.

Erstarken des IS in Afghanistan

Der IS-Khorasan (ISKP, auch ISPK) wird in seinen Stammlanden in Afghanistan zwar durch die machthabenden Taliban bekämpft, wird aber seit zwei bis drei Jahren von europäischen Sicherheitsbehörden als zunehmendes Risiko gesehen. Mehrere Festnahmen in Deutschland seit 2022 illustrieren dies.

Dem IS-Khorasan werden auch Anschläge in Iran und Russland zugeschrieben. Die Organisation ist offensichtlich in der Lage, potenzielle Attentäter auch in Europa zu rekrutieren.

Soldat vor Propagandabild der Terroristengruppe
Legende: Auch im Irak wurden IS-Kämpfer ausgebildet: Ein irakischer Soldat inspiziert einen mit einer IS-Flagge versehenen Teil eines Ausbildungslagers für IS-Kämpfer. (Bild: 2017) AP Photo / Khalid Mohammed

Israelfeindlichkeit und Judenhass

Europaweit sind seit dem Massaker der Hamas in Israel vom 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden Militäroffensive im Gaza-Streifen antisemitische Fälle stark angestiegen – von Online-Kommentaren, Beleidigungen auf der Strasse bis zu physischer Gewalt. In einer ersten Reaktion auf den Anschlag in Solingen hiess es vom IS, der Angriff sei eine «Rache für die Muslime Palästina und überall».

Manchen gewaltbereiten Extremisten dient ein «Kampf für Palästina» offensichtlich als Rechtfertigung für Gewalt gegen Juden.

Ausnutzen von Flüchtlingsrouten

Die Berichte mehrerer Nachrichtendienste sind eindeutig: «Mit dem vom Krieg gegen die Ukraine verursachten Flüchtlingsstrom sind mehrere Dutzend mutmassliche Dschihadisten in westeuropäische Staaten gelangt», schreibt beispielsweise der Schweizer Nachrichtendienst (NDB). Auch in die Schweiz seien «ein paar wenige Personen eingereist», die wegen eines möglichen Terrorismusbezugs abgeklärt würden.

Die Herausforderung für die Sicherheitsbehörden ist, die Verdächtigen zu erkennen – und Verurteilte auszuweisen. Je nach Herkunftsland erweist sich das in manchen Fällen als unmöglich.

Social Media als Brandbeschleuniger bei Jugendlichen

«Tiktok-Dschihadisten», nennen Experten die neue Generation radikalisierter Minderjähriger. Von «Influencer-Predigern» sprechen Nachrichtendienste. Denn in sozialen Medien haben sich auch Ideologen und ihre Helfer breit gemacht. Zielgruppengerecht werden emotionale Videos und Fotos verbreitet. Algorithmen leisten ihren Teil. Gezielt werden manche Jugendliche auf andere Kanäle wie Telegram geführt – oder in geschlossene Chatgruppen.

Diese Dynamik dürfte einer der Gründe sein, weshalb in den letzten Monaten vermehrt junge bis sehr junge Verdächtige festgenommen wurden – teils erst 13 Jahre alt.

Psychisch Auffällige als Zielgruppe

«Psychopath oder Terrorist?»: Diese Debatte kocht hoch, sobald psychische Probleme von Attentatsverdächtigen bekannt werden. Die Antwort allerdings ist meistens kein Entweder-oder. Auch im Fall eines Mannes, der kürzlich vor einer Zürcher Synagoge Benzin ausgoss – und rechtzeitig vom Sicherheitsdienst gestoppt wurde – bezeichnete die Polizei ihn als «psychisch verwirrten» Mann, extremistische Motive stünden nicht im Vordergrund. Es stellt sich dennoch die Frage, woher der Mann die Idee hatte, ausgerechnet eine Synagoge ins Visier zu nehmen.

Aus der Fachwelt ist zu hören, dass vermehrt auch psychisch auffällige Personen auf Aktualitäten wie den Krieg im Gazastreifen ansprechen würden und damit für Terrorpropaganda anfällig werden. Ideologen und Rekrutierern dürfte das bewusst sein.

Tagesschau, 25.08.2024, 19:30 Uhr

Meistgelesene Artikel