Der Nahostkonflikt wühlt auf und löst Diskussionen aus. Während Jüdinnen und Juden in Europa sich unsicher fühlen, fragen sich andere, wo legitime Israel-Kritik aufhört und Antisemitismus anfängt. Ein Blick zurück auf die Wahrnehmung des Konflikts in der Schweiz.
SRF News: Wie hat sich das Israel-Bild in der Schweiz über die Jahre entwickelt?
Christina Späti: Bei der Staatsgründung war man in Europa noch skeptisch. Im Verlauf der 1950er- und 1960er-Jahre entstand dann aber ein sehr positives Israel-Bild – vor allem auf der linken Seite. Man nahm das Land, mit seinen Kibbuzim, als sozialistisch wahr. Das änderte sich 1967 mit dem Sechstagekrieg. Die Neue Linke sah in Israel zunehmend einen Unterdrücker. Dabei kamen auch antisemitische Vorurteile zum Vorschein. Der Libanon-Krieg und die Intifada in den 1980er-Jahren verstärkten dies noch.
Mit den Terroranschlägen des 11. September setzte abermals eine neue Entwicklung ein. Während man den Nahostkonflikt zuvor vor allem aus einer ethnischen Warte wahrnahm, wuchs ab dann die Bedeutung der religiösen Komponente. Plötzlich wurde Israel auch für Rechtspopulisten wieder attraktiv.
Und in welcher Epoche befinden wir uns jetzt?
Ich denke, wir befinden uns wieder an einem Wendepunkt. Einerseits rückt der Nahostkonflikt nach vergleichsweise eher ruhigen Jahren wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Andererseits scheint die Hamas aber auch eine Schwelle überschritten zu haben. Es sind nicht mehr nur vorwiegend Rechte, die sie verurteilen.
Unterscheidet sich diese schweizerische Entwicklung von derjenigen in anderen Staaten?
Die groben Züge sind dieselben wie in unseren deutschsprachigen Nachbarländern. Was in der Schweiz anders ist, ist, dass hier – aus historischen Gründen – weniger eine Debatte über den Antisemitismus stattgefunden hat. Man hatte das Gefühl, das habe nichts mit einem selber zu tun.
Sie haben in ihrer Forschung über die gewundene Beziehung der Linken zu Israel und dem Antisemitismus geschrieben. Woher kommt diese?
Internationalismus spielte in der Linken immer eine wichtige Rolle. Dementsprechend war das Interesse für die Region einfach schon immer grösser, als dies auf der rechten Seite der Fall war. Etwas vereinfacht gesagt, hat man sich auf Seiten der FDP oder der CVP einfach weniger dafür interessiert. Schaut man sich etwa die Gesellschaft Schweiz-Israel an, dann sieht man, dass dort oftmals Sozialdemokraten das Sagen hatten.
Bis 1967 waren die Palästinenser nicht auf dem Radar der Schweizerischen Bevölkerung.
Es gab aber auch einen anderen Entwicklungsstrang. Lange Zeit galt: «Ich bin links, also kann ich gar nicht antisemitisch sein.» Das verunmöglichte eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem eigenen Antisemitismus. Zurzeit beobachte ich dahingehend aber einen Generationenwechsel.
Und das Bild der Palästinenser?
Bis 1967 waren sie nicht wirklich auf dem Radar. Man hat vielleicht von den Flüchtlingen gesprochen. Der Wandel kam mit Yassir Arafat, der 1969 aufs Parkett kam. Er betonte den Aspekt der Befreiung und des Antikolonialismus – und rannte damit bei den von der 68er-Bewegung geprägten Linken offene Türen ein.
Viele Nicht-Jüdinnen und -Juden in der Schweiz fühlen sich missverstanden in ihrer Israel-Kritik. Was sagen Sie dazu?
Der Antisemitismus fängt dort an, wo man Israeli wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum diskriminiert. Der deutsche Philosoph Richard David Precht zeigte dies mit seinen Aussagen jüngst exemplarisch. Was auch klar ist: Macht man Vergleiche zum Holocaust, wird es heikel. Das alles heisst aber nicht, dass man Israel nicht kritisieren darf. Viele jüdische Organisationen tun genau dies.
Das Gespräch führte Patrick McEvily.