Es war eine Rede, von der man sagt, sie habe geholfen, den Kalten Krieg zu beenden. Die Rede, die der damalige US-Präsident Ronald Reagan am 12. Juni 1987 am Brandenburger Tor hielt. Und in der er seinen sowjetischen Gegenspieler, Michael Gorbatschow, dazu aufforderte, die Berliner Mauer niederzureissen.
Es war der junge, damals relativ unerfahrene Redenschreiber Peter Robinson, der den Auftrag fasste, die Rede für den US-Präsidenten zu schreiben.
Das Weisse Haus schickte Robinson ein paar Wochen vor dem geplanten Staatsbesuch nach Westberlin. Dort traf er sich mit ranghohen US-Diplomaten, die ihm rieten, in der Rede die Mauer, die damals West- und Ostberlin trennte, nicht zu erwähnen. Das Thema sei heikel, und die Deutschen hätten sich längst an die Trennung gewöhnt.
Der Hass auf die Mauer
Doch an einem Abendessen bekam Peter Robinson ein anderes Bild. Deutsche Bekannte, Dieter und Ingeborg Elz, hatten den jungen Amerikaner zu einer Dinnerparty eingeladen, damit er sich mit Westberlinern austauschen konnte.
Als Robinson die Gäste fragte, ob es denn stimme, dass man sich an die Mauer mitten durch die Stadt gewöhnt habe, war es zuerst ganz still am Tisch. «Ich dachte, dass ich wohl gerade einen monumentalen Fauxpas begangen hatte», erinnert sich Robinson.
Wenn es Gorbatschow ernst ist mit Glasnost, dann soll er nach Berlin kommen und die Mauer niederreissen.
«Doch dann begann es aus den Leuten herauszusprudeln. Es war nicht so, dass sie sich an die Mauer gewöhnt hatten, im Gegenteil, sie hassten sie», sagt Peter Robinson. Ein Mann am Tisch habe mit dem Finger in eine Richtung gezeigt und erzählt, seine Schwestern leben dort, nur wenige Kilometer entfernt. Auf der anderen Seite. Er habe sie seit über 20 Jahren nicht gesehen.
Die Gastgeberin, Ingeborg Elz, erhob wütend die Stimme: «Wenn es Gorbatschow ernst ist mit Glasnost und Perestrojka, dann soll er nach Berlin kommen und die Mauer niederreissen.»
Peter Robinson wusste, dass er soeben den Schlüsselsatz für die Rede von Reagan in Berlin gehört hatte.
Widerstand auf höchster Ebene
Zurück in Washington machte sich Peter Robinson daran, die Rede zu schreiben. Die wichtigste Passage darin war enorm umstritten. «Vom Aussendepartement über die Sicherheitsberater bis hin zu Reagans Stabschef waren alle dagegen, dass Präsident Reagan in seiner Rede Michail Gorbatschow dazu auffordern sollte, die Mauer niederzureissen.» Der Druck auf Robinson war enorm.
Noch einen Tag vor der Rede sollte Reagans Stabschef in einem venezianischen Palast, in dem Reagan damals an einem Wirtschaftsgipfel teilnahm, die Passage mit dem Präsidenten durchgegangen sein.
Peter Robinson: «Reagan fragte den Stabschef: ‹Bin ich der Präsident?› Der antwortete: ‹Ja, Sir, Sie sind der Präsident.› – ‹Also kann ich entscheiden, ob die zwei Zeilen drinbleiben oder nicht?› – ‹Ja, Sir, Sie können entscheiden.› – ‹Gut, dann bleiben sie drin.›»
«Ronald Reagan war zwar ein freundlicher, offener Mensch. Doch er war unglaublich stur. Das war in diesem Fall ein Glück für mich», sagt Peter Robinson.
Peter Robinson als Redenschreiber für Präsident Ronald Reagan
Am Tag der Rede flog Reagan mit der Air Force One von Venedig in die Bundesrepublik Deutschland und landete auf dem Flughafen Berlin Tempelhof. Dort wurden er und seine Frau Nancy mit militärischen Ehren empfangen.
Jedes Wort war am richtigen Platz. Reagan war noch viel besser, als ich es mir erträumt hatte, als ich die Rede schrieb.
Sein junger Redenschreiber Peter Robinson war zu diesem Zeitpunkt daheim in seiner Junggesellenwohnung in der Nähe von Washington. Er wollte das Wochenende auf dem Land verbringen, möglichst weit weg von allen Nachrichtensendern und dem Weissen Haus. Robinson fürchtete, dass Ronald Reagan in letzter Minute die Rede noch abschwächen – und die beiden zentralen Sätze weglassen würde.
Während des Kofferpackens habe er seinen kleinen Fernseher eingeschaltet, erzählt Peter Robinson. «Der Korrespondent von CBS in Deutschland erwähnte, dass man vernommen habe, Reagan würde eine dramatische Rede halten», erinnert sich Robinson. «Ich schaute also ein bisschen widerwillig zu. Und plötzlich wurde mir bewusst: Er wird das wirklich durchziehen!» Der Gedanke habe ihm fast den Atem geraubt.
Applaus über die Mauer hinweg
Als Ronald Reagan seine Rede vor dem Brandenburger Tor begann, hing tausende Kilometer entfernt, sein junger Redenschreiber an seinen Lippen. «Jedes Wort war am richtigen Platz. Er war noch viel besser, als ich es mir erträumt hatte, als ich die Rede schrieb.»
Dann kam die zentrale Stelle: «Mister Gorbatschow, open this gate. Mister Gorbatschow, tear down this wall», rief Reagan über die Köpfe hinweg in den wolkenverhangenen Berliner Himmel. Die Menge tobte, der Applaus war über die Mauer hinweg in Ost-Berlin zu hören. Und Peter Robinson musste sich auf den Boden setzen, so gross war die Anspannung gewesen, die nun von ihm abfiel.
Die Rede Reagans sorgte damals nicht für Schlagzeilen, sie wurde kaum beachtet. Der damalige Korrespondent für Radio DRS sprach von einer «populistisch gehaltenen Rede».
Erst zwei Jahre später, als die Mauer tatsächlich fiel, bekam die Rede die Bedeutung, die sie nun hat.
Der Kreis schloss sich für Peter Robinson über 30 Jahre später. Vor zwei Jahren wurde er zu einem Abendessen in der deutschen Botschaft in Washington eingeladen, zur Feier des 30. Jubiläums des Mauerfalls. Ehrengast war Joachim Gauck. Gauck, der zum Zeitpunkt der Rede 1987 evangelischer Pfarrer im ostdeutschen Rostock war, und später Bundespräsident wurde.
Die richtigen Worte zur richtigen Zeit
Gauck sagte an dem Abend in Washington, Ronald Reagan habe das Richtige gesagt, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit.
Peter Robinson: «Über 30 Jahre lang habe ich mich gefragt, ob es das richtige gewesen sei, die umstrittenen zwei Zeilen in die Rede zu packen. An dem Abend, als Gauck das sagte, hatte ich endlich die Gewissheit. Ja, es war richtig gewesen. Nie soll aber vergessen werden, wer mir die Inspiration für die Rede gegeben hat. Es war eine deutsche Hausfrau, es war Ingeborg Elz. Und nie soll vergessen werden, dass es Ronald Reagan war, der darauf beharrte, die Worte von Ingeborg Elz wiederzugeben. Die Forderung an Gorbatschow, die Mauer niederzureissen.»