Die Instruktion, die Boris Johnson am 24. März 2020 den Britinnen und Briten erteilte, tönt aus heutiger Sicht leicht surreal: «Sie dürfen Ihr Haus ab heute nicht mehr verlassen.» Damit wurden Wohnungen über Nacht zu Schulräumen, Turnhallen und Büros. Maskiert durften die Leute die häusliche Zelle höchstens für eine Stunde pro Tag verlassen. Die Strassen waren leer und die Züge wurden zu Geisterbahnen.
Mittlerweile ist die Normalität aber wieder eingekehrt. Die U-Bahnen sind morgens wieder voll. Ebenso Pubs und Büros. Nein, zweitere nicht ganz. In der öffentlichen Verwaltung scheint es bis heute mit der Rückkehr aus dem Homeoffice nicht ganz zu klappen. Eine Erhebung Anfang Juni zeigte, dass noch rund die Hälfte der Beamtinnen und Beamten mehrheitlich zu Hause arbeitet.
Homeoffice in der Kritik
Ein Umstand, welcher den obersten Personalchef der Regierung, Jacob Rees-Mogg, in Rage brachte. «Das ist nicht seriös. Besonders nicht mitten in einer Wirtschaftskrise. Physische Präsenz ist eine Voraussetzung in einem effizienten und bürgernahen Staat. Und die Tatsache, dass die Leute vor allem am Montag und Freitag zu Hause arbeiten, ist ein Hinweis, dass es in erster Linie um die Optimierung der eigenen Bedürfnisse geht.»
Physische Präsenz ist eine Voraussetzung in einem effizienten und bürgernahen Staat.
Es blieb nicht bei den harschen Worten. Der Brexit- und Effizienzminister inspizierte die Verwaltung und hinterliess auf leeren Schreibtischen vorgedruckte Zettel: «Ich war hier, aber Sie nicht. Ich hoffe, Sie bei meinem nächsten Besuch anzutreffen.» Die Streifzüge von Jacob Rees-Mogg kamen bei den Staatsangestellten nicht gut an.
Homeoffice bedeutet Flexibilität.
Die Professorin für Arbeitssoziologie Jane Perry hat sich zum Homeoffice viele Gedanken gemacht. Homeoffice sei weit mehr, als einfach zu Hause arbeiten zu dürfen. «Homeoffice bedeutet Flexibilität. Leute können ihre Arbeit dann verrichten, wenn es ihnen am besten passt. Das ist weder an eine Zeit noch einen Platz gebunden. Nicht alle Menschen funktionieren gleich. Diese Flexibilität sollten wir bewahren.» Eine Mischform kann für Unternehmen eine Herausforderung sein.
Gar als eine Überforderung betrachtet der britische Wirtschaftspublizist und Unternehmer Luke Johnson das Homeoffice. Gegenüber der BBC äusserte er die Befürchtung, dass das Arbeiten von zu Hause zu einer neuen Zweiklassengesellschaft führen könnte. Auch könne es Leute isolieren und einsam machen.
Schützenhilfe erhielten die Kritiker vom Homeoffice kürzlich vom konservativen «Daily Telegraph». Die Zeitung publizierte eine Umfrage, die zum Schluss kommt, dass die Hälfte der befragten Heimwerker nicht einmal einen Schreibtisch besitze und 10 Prozent gar im Bett arbeiten würden.
Von solcher Polemik hält die Arbeitssoziologin Perry wenig. «Homeoffice ist nicht ein Trend oder Spleen, sondern wurde von der Regierung verordnet. Das darf man bei aller Kritik und Polemik nicht vergessen.»
Seit dem 24. März 2020 hat sich viel geändert. Die Pendler sind wieder unterwegs. Johnson hat die Pandemie überlebt, aber nicht die eigenen Stay-at-home-Regeln. Und selbst die seltsamen Streifzüge des Effizienzministers werden zu Ende gehen. Denn mit dem Rücktritt von Boris Johnson muss sich wohl auch Jacob Rees-Mogg eine andere Beschäftigung suchen – und ein neues Büro.