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Rücktritt von Boris Johnson Ein Rücktritt bar jeder Selbstkritik

Zuerst hat er die Autorität verloren und nun auch das Amt. Die vergangenen drei Tage waren dramatisch. Im Halbstunden-Takt sind Ministerinnen und Minister zurückgetreten. Die britische Regierung drohte zu kollabieren. Johnson hat nach einer Reihe von Skandalen das Vertrauen des Parlaments, seiner Partei und am Ende auch seines Kabinetts verloren. Er scheiterte dabei nicht an seiner politischen Agenda wie einst Theresa May oder Margaret Thatcher, sondern an seinem umstrittenen Charakter und Uneinsichtigkeit.

Selbst bei seinem heutigen Auftritt machte er nicht den Eindruck, dass er wirklich verstanden hat, weshalb er nun den Hut nehmen muss. Er lobte ausführlich die Erfolge seiner Amtszeit. Den Vollzug des Brexits und die rasche Beschaffung einer Impfung während der Pandemie. Selbstkritische Töne fehlten gänzlich. Im Gegenteil. Die Forderung nach seinem Rücktritt bezeichnete er als «exzentrisch». Er habe noch so viel gute Ideen gehabt.

Freier Fall innerhalb der Partei

Johnson sieht sich als Opfer eines «dumpfen politischen Herdeninstinkts» seiner eigenen Partei. Deshalb war es wohl kein Zufall, dass sich Johnson ziemlich bei allen bedankte, bei den Wählerinnen und Wählern, seinen Mitarbeitern, seiner Familie, dem Abwart und selbst seinen Bodyguards, aber nicht bei seinen Ministern und der Partei. 

Die Fallhöhe von Johnson innerhalb der konservativen Partei ist hoch. 2019 hat er den Tories zu einem historischen Wahlsieg verholfen. An Parteitagen wurde er wie ein Popstar bejubelt und hat mit dem Slogan «let's get brexit done» die zerstrittene Partei wieder geeint. Doch nach einer weiteren Kaskade von Gerüchten, Halbwahrheiten, Dementi, Lügen und Gedächtnisausfällen im Fall Chris Pincher ist das politische Kapital nun definitiv aufgebraucht. 

Sehnsucht nach Ruhe

Nach dem Rücktritt beginnt die Suche nach einem Nachfolger. Hinter den Kulissen hat dieser Prozess längst begonnen. Bis zum Parteitag im Oktober will die konservative Partei die Nachfolge von Johnson geregelt haben. Bis zu diesem Zeitpunkt führt üblicherweise der amtierende Premierminister die Geschäfte weiter. Viele Leute fragen sich jedoch, ob Johnson wirklich der richtige Mann dazu ist. Dieser habe während seiner Amtszeit nur Lügen und Chaos produziert, meint Labour-Chef Keir Starmer und fordert heute ultimativ die Einsetzung eines «Verwalters».

Diese Frage wird wohl in den kommenden Tagen noch das Parlament beschäftigen. Erst einmal sehnt sich das Land nach Ruhe und Stabilität. Grossbritannien ist in den vergangenen Tagen knapp an einer institutionellen Krise vorbeigeschrammt. Das Aufatmen in Westminister ist deshalb deutlich hörbar. 

Patrik Wülser

Grossbritannien-Korrespondent

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Patrik Wülser arbeitet seit Ende 2019 in London als Grossbritannien-Korrespondent für SRF. Wülser war von 2011 bis 2017 Afrika-Korrespondent und lebte mit seiner Familie in Nairobi. Danach war er Leiter der Auslandsredaktion von Radio SRF in Bern.

SRF 4 News, 7.7.2022, 13:30 Uhr

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