Arbeitsmigrantinnen gehören im Libanon zu den am stärksten Betroffenen der Wirtschafs- und Politkrise. Wer sich seine Importe nicht mehr leisten kann, kann sich seine Arbeitsmigrantinnen schon gar nicht mehr leisten. Einzelne Libanesen laden ihre Haushaltsangestellte einfach vor dem betreffenden Konsulat ab, wie ausgesetzte Tiere.
Auf der Suche nach Schutz
Etwa 30 zumeist junge Frauen sitzen vor dem äthiopischen Generalkonsulat in Beirut auf Matten oder Plastiksäcken. Sie suchen Schutz in dem bisschen Schatten, den das Gebäude spendet. Es sind Arbeitsmigrantinnen, Hausangestellte, die von ihren libanesischen Arbeitgebern vor dem äthiopischen Konsulat ausgesetzt wurden. «Sie behandeln uns wie Abfall», so die Äthiopierin Hana.
Zweieinhalb Jahre hat Hana im Haushalt einer libanesischen Familie gearbeitet und gelebt. Freizeit gab es keine. Freiheit auch nicht. 150 US-Dollar verdiente sie. Einen guten Teil davon schickte sie jeden Monat nach Hause zu ihrer Familie.
Seit fünf Monaten erhalte ich keinen Lohn mehr.
Als die Wirtschaftskrise im Libanon immer schlimmer wurde, endete der Geldfluss abrupt. «Seit fünf Monaten erhalte ich keinen Lohn mehr. Als ich sagte, ich bräuchte das Geld für meine Familie, antwortete Madam: ‘Ich habe kein Geld mehr. Wenn Du arbeiten willst, dann schweig. Wenn Du noch einmal nach Geld fragst, schlage ich Dich’.» Hana hat trotzdem noch einmal nach Geld gefragt. «Da packte Madam meine Kleider in eine Tasche und brachte mich hierher.» Den Pass von Hana hat ihre Arbeitgeberin einbehalten.
Geschichten wie die von Hana kennt Tsigereda Brihanu zuhauf. Brihanu leitet die Projekte von «Egna Legna», einem Hilfswerk speziell für Arbeitsmigrantinnen. «Seitdem die Krise vor einem Dreivierteljahr begann, wurde die Situation immer schlimmer.»
«Moderne Sklaverei»
Brihanu kam selbst einst als Arbeitsmigrantin aus Äthiopien in den Libanon. «Ich dachte, ich könne hier weiterstudieren, und daneben ein bisschen arbeiten, um die Universität zu finanzieren.» Doch sie hatte sich getäuscht. Wie so viele, die unter falschen Versprechungen in den Libanon gelockt wurden.
«Das libanesische System für Gastarbeiterinnen, das sogenannte ‘Kefala-System’, ist ein System, das dich komplett kontrolliert. Du hast keinerlei Rechte.» In der Tat werden Hausangestellten von ihren «Arbeitgebern» häufig die Pässe abgenommen. Sie müssen im selben Haushalt leben, Rechte haben sie kaum. «Es ist ein System moderner Sklaverei», sagt Brihanu.
Libanesen geht das Geld aus
Jetzt, in der doppelten Krise von wirtschaftlichem Kollaps und Corona-Lockdown, trifft es Arbeitsmigrantinnen und -migranten besonders. Die libanesische Währung fällt ins Bodenlose, US-Dollar sind unerschwinglich geworden. Viele Libanesen haben selbst kaum Geld und leiden Hunger. Können die Miete nicht mehr bezahlen, oder die Schule ihrer Kinder. Geschweige denn ihre Hausangestellten. «Manche sagen, wir bezahlen dich nächsten Monat, dann wieder nächsten Monat, aber keiner hat mehr Geld.» Tsigereda Brihanu füllt eine Portion Reis in einen Sack. Sie verteilt mit ihrer Organisation Lebensmittel, 1000 Leute leben von ihrer Hilfe, es reicht hinten und vorne nicht.
Ich will meine Familie wiedersehen.
Die jungen Frauen vor dem Generalkonsulat wollen nach Hause. Doch viele haben keinen Pass, geschweige denn Geld für den Flug. «Ich will meine Familie wiedersehen.» Hana kommen die Tränen. «Wenn ich sterben soll, dann in meinem Land. Ich will nicht hier sterben.»